Zwei Sommer
würde mich verstehen oder bei einem Satz wie diesem zumindest nachfragen. Dann könnte ich ihr erklären, dass ich mal ein Schulpraktikum im Seniorenheim gemacht habe und dass es da jeden Freitag Erbsensuppe gab und mich der Geruch von Erbsensuppe seitdem an alte Menschen erinnert.
Aber Janos lächelt bloß und nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette, die schon fast bis zu seinen Fingern runtergebrannt ist. Warum können Zigaretten nicht so lang sein wie Spaghetti? Dann müsste ich mir jetzt keine Sorgen darüber machen, dass Janos vielleicht gleich sagt: »Na dan n …« Oder: »Man sieht sich.« Oder: »Ich werd dann mal.«
»Oka y …«, sagt Janos. (»Okay« hatte ich in meiner Aufzählung vergessen!)
»Okay«, sage ich und finde es kein bisschen okay. Ich finde es total scheiße. Ich will nicht, dass er jetzt geht.
»Vielleicht hast du ja Lust, mal vorbeizukommen. Wir machen jeden Abend Lagerfeuer«, sagt Janos. »Ist der kleine Zeltplatz hinter den Dünen, dahinten, wo die Strandkörbe anfangen.« Er streckt seinen Arm aus.
Ich folge seinem Arm mit Blicken und finde, dass heute ein schöner Tag ist. Ich fixiere die kleinen dunklen Flecken, die wohl Strandkörbe sind, mit meinen Maulwurfsaugen.
»Klar, gern. Morgen Abend?«, frage ich.
»Okay«, sagt er.
»Okay«, sage ich, und meine Augen sind blau.
5
olá, marie!
bin grad mit zippo am atlantik und lass die seele baumeln. du weißt schon, zippo, der süße typ mit den rastas, der mitbewohner von jule. (die mit der laktose-allergie.) halt dich fest: wir haben gestern geknutscht! war voll schön. aber wir wissen beide, dass es nix ernstes ist. zippo hat ja auch ne freundin,
theresa, und die liebt er auch total. fand ich gut, dass er gleich gesagt hat, was phase ist. nicht dieses doofe rumgelaber, von wegen große gefühle und falscher zeitpunkt und so. werden uns ne gute zeit machen und punkt.
und jetzt zu deinem oliver. wenn ich den in die finger krieg, mach ich ihn platt! (und lass es wie’n unfall aussehen!) das ist ja wohl das letzte! erst schießt er dich ab wegen ISA (bitch!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!) und
dann hat er’s nicht mal drauf, dir die wahrheit ins gesicht zu sagen. was ist das denn für
ne lasche aktion? mal ehrlich: das ist’n
würstchen. ein würstchen deluxe! ein ganz, ganz großer schisser! du bist’n klasse
mädchen und kein typ hat das recht, dich so zu behandeln.
mach dir ne schöne zeit mit der voodoopriesterin, quatsch den gitarrero an (!!!), schnüffel
ne megadosis tibetischen wasauchimmer und vergiss diesen lappen! der ist die reinste
verschwendung deiner kostbaren lebenszeit.
wer dich nicht will, hat dich nicht verdient.
das mein ich ernst.
pauline (die stinksauer ist!)
»Es tut so weh«, schluchze ich, weil es das Einzige ist, was ich gerade wieder fühlen kann. Schmerz. Ein riesiges übermächtiges Aua in der Magengegend. Seit ich Paulines Mail gelesen habe, bin ich wie ausgewechselt. Ich bin komplett durcheinander, weil sie so wütend ist und ich nicht. Warum kann ich denn nicht wütend sein? Ich müsste doch noch tausendmal wütender sein als Pauline! Stattdessen überfällt mich in regelmäßigen Abständen diese lahme Traurigkeit, wenn ich an Oliver denke. Das ist, als würde jedes Mal jemand einen Eimer schwarzer Farbe über mir auskippen, sobald ich versuche, mich an das zu erinnern, was geschehen ist. Pechmarie.
Ich sitze mit Tante Doro in der Küche, heule mal wieder die Tischplatte voll und betrinke mich mit Kirschsaft. Ich habe Tante Doro nach Wein gefragt, weil die Leute sich in den Filmen und auf Partys ja auch immer mit irgendwas betrinken, wenn sie traurig sind. Und ich bin traurig und Bier schmeckt mir nicht.
Aber Tante Doro hat Nein gesagt. An Tagen wie diesen nerven mich ihr Hang zu innerer Harmonie und gesunder Lebensweise. Sie hat gesagt, dass Kummer sich nicht in Wein auflöst. Dass Kummer sich in überhaupt nichts auflöst außer in Worten und Zeit. An Tagen wie diesen glaube ich sogar, dass Realität und Tante Doro entsetzlich wenig miteinander zu tun haben.
»Und es wird noch eine ganze Weile wehtun, Marie.« Doro sieht mich ernst an. »Was du verloren hast, lässt sich nicht von heute auf morgen ersetzen.«
Autsch. Das tut weh.
»Nicht mal durch einen Janos.«
Doppelautsch.
»Was du für Oliver warst, wirst du nie wieder für einen anderen sein. Du hast eine ganz besondere Bedeutung für ihn gehabt. Und darum geht es jetzt.«
»Um was?«
»Um Bedeutung. Wir
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