Zwei Sommer
die kein Mensch braucht und die einen immer nur noch trauriger machen. »Wir hatten so eine schöne Zeit und ich bin wahnsinnig froh, dass wir uns getroffen haben.« Aus!
»Halt die Klappe. Ich kann das grad gar nicht hören. Und mein Monster auch nicht.«
Janos seufzt und vergräbt die Hände tief in den Hosentaschen, als wolle er sie vor mir in Sicherheit bringen. »Wollen wir noch mal an den Strand?«, fragt er schließlich und tritt ein wenig unbeholfen auf der Stelle herum. »Uns zusammen vom Meer verabschieden?«
Mein Hals ist wie zugeschnürt und ich merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen. Ich will nicht weinen. Ich will jetzt nicht weinen! Ich will überhaupt nicht mehr weinen! Verdammt noch mal, ich habe Ferien!
»Nee, lieber nicht. Bisschen viel Abschied für einen Tag.«
Ohne Vorwarnung nimmt Janos mich in die Arme. Er drückt mich fest an seine Brust, sodass ich seinen Duft einatmen kann. Der Geruch von Lagerfeuer hängt noch in seinem T-Shirt. Ich spüre die Wärme, die er verströmt, auf meinem Gesicht und wie sie sich mit meinen Tränen vermischt. Ganz lange stehen wir so da, und ich wünsche mir, ich könnte die Zeit anhalten, damit alles so bleibt, wie es ist. Vielleicht wünscht sich Janos sogar dasselbe. Dass mal irgendjemand bleibt, dass er mal irgendwo ankommt, meine ich. Aber vielleicht kommt einer wie Janos ja niemals irgendwo an? Vielleicht ist sein Zuhause ja die Musik und es ist seine Bestimmung, immer weiterzuziehen, mit niemandem an seiner Seite, aber mit zehntausend neuen Songs im Kopf.
Die Zeit beweist mir, dass sie für nichts und niemanden stillsteht. Wir lösen unsere Umarmung und wissen beide nicht, was wir jetzt mit unserer halbfertigen Verabschiedung anstellen sollen.
»Dann ist es jetzt wohl so weit«, sagt Janos leise und langsam.
»Warte!« Ich wühle in meiner Tasche und hole mein Notizbuch hervor. Ich suche nach der Seite, auf die ich die Zeilen geschrieben habe, als ich auf der Titanic saß. Ich reiße die Seite heraus, krame nach einem Stift und schreibe mit zittrigen Händen meine Handynummer darauf. Ich drücke Janos den Zettel in die Hand.
»Ich glaube, ich hab das für Isa geschrieben. Bis ich’s selber vertonen kann, ist es vielleicht verjährt.«
Janos nimmt den Zettel und beginnt die Zeilen zu überfliegen. Irgendwann hebt er den Kopf und unsere Blicke treffen sich. Ich will nicht darüber nachdenken, dass ich vielleicht das letzte Mal in diese Augen sehe und tue es trotzdem.
Janos tippt mir mit dem Zeigefinger auf den Bauch. »Du bist ’n ziemlich tolles Mädchen, Marie, weißt du das?«
»Manchmal.«
Janos lacht. »Sehr gut.«
»Machst du ein Lied aus mir? Es wär mir eine Ehre«, sage ich schnell und mit aller Tapferkeit, zu der ich imstande bin. Ich finde, es klingt filmreif.
7
Von meiner Rückkehr nach Hause bis zur ersten großen Krise vergingen vier Tage. Meine große Krise ereignete sich im Aldi. Genauer gesagt: zwischen Karotten und Blumenkohl. Er stand plötzlich einfach vor mir, das heißt, auf der anderen Seite des Gemüseregals. Über einer Stiege Kohlrabi krachten unsere Blicke schließlich aufeinander. Oliver. Mein Gesicht war wie eingefroren, ich starrte ihn an und wollte ihm in ein paar Sekunden alle Erklärungen aus den Augen saugen, die er mir vor fast drei Wochen so vehement verweigert hatte. Aber sein Gesicht blieb genauso starr und leer wie meins. Keine Gefühlsregung löste sich von seinen Augen, um als Botschaft über das Gemüse hinweg zu mir herüberzusegeln. In seinen Augen war nichts.
Als er auch die letzte Sekunde verstreichen ließ, in der ich noch mit irgendeinem Satz von ihm rechnete, zwang ich mich, meinen Blick von ihm abzuwenden. Nach kurzem, hektischem Wühlen warf ich einen Kohlrabi in den Einkaufswagen und fuhr wie gelähmt auf direktem Wege zur Kasse.
Er hatte nichts zu mir gesagt. Er hatte nichts zu mir gesagt, weil er mir nichts mehr zu sagen hatte. Weil ihn absolut nichts mehr mit mir verband. Ich war bloß ein Mädchen, das im Aldi Kohlrabi kaufte und das er vielleicht mal von früher kannte.
Ich leerte die Einkaufstüte in unserer Küche und wusste, dass ich von nun an ständig Gefahr laufen würde, Oliver und Isa zu begegnen. Verliebt. Glücklich. Eis essend, womöglich. Als ich den Kohlrabi in der Hand hielt, wurde mir klar, dass ich mich für den Rest der Ferien hier einbunkern musste, wenn ich nicht das bisschen Kraft aufs Spiel setzen wollte, das ich in Rethwisch getankt hatte. Aber ich
Weitere Kostenlose Bücher