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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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Blick ging mir mehr unter die Haut als so ziemlich jeder Kuss, den ich jemals bekommen habe. Trotzdem: Ein einziger Kuss von ihm ist mir tausendmal lieber als alle unsere prickelnden, herzzerreißenden Nichtküsse und Fastküsse.
    Heute Nacht werden wir wieder davon träumen, uns zu küssen. Genauso wie morgen Nacht. Und übermorgen Nacht. Und die Nächte danach.
    Wie andere Leute Schäfchen zählen, zähle ich also die Nächte, die noch zwischen meiner Sehnsucht liegen und dem Augenblick, in dem sich unsere Lippen endlich wieder berühren dürfen.
    »Isa?«
    »Was?«
    »Mann, du guckst ja gar nicht!«
    »Klar, guck ich.«
    »Nee, machst du nicht. Du starrst die ganze Zeit Löcher in die Luft. Jetzt sag doch mal, welchen ich nehmen soll.«
    Mein Leben kommt mir gerade vor wie ein schlechter Hollywoodfilm. Ich stehe in der Umkleidekabine eines Dessousladens. Marie tanzt vor meinen Augen in einem weißen Spitzen-BH herum. Ich will sie eigentlich gar nicht ansehen. Ich will sie ja nicht einmal mehr schön finden. Aber sie ist schön und das tut mir weh.
    Sie ist glücklich, kein Wunder. Glück macht schön. Ich könnte diese Schönheit zerstören, mit einem einzigen Satz.
    Ich will mir gar nicht vorstellen, welche Gefühle ihr Schneewittchenkörper in ihm hervorruft – ihre weiche weiße Haut, auf die ihr glänzendes schwarzes Haar fällt, ihre schmalen Hüften, ihr runder Bauch, der kleine grüne Glitzerstein in ihrem Bauchnabel.
    Ob er insgeheim immer noch Lust verspürt, ihr in den Hals zu beißen? Schmeckt dieser Hals etwa besser als meiner? Warum hat er mir noch nie in den Hals gebissen?
    Ich fühle mich wie eine Verräterin, weil ich es zulasse, dass sie mir so bereitwillig ihre Eroberungspläne anvertraut, mir – ihrer Feindi n –, die dieses Vertrauen missbraucht, um die Waffen ihrer größten Konkurrentin auszuspionieren.
    Ich kauere auf einem winzigen Hocker in der Ecke der Umkleidekabine, auf meinem Schoß liegt ein Stapel Unterwäsche. In Schwarz, Rot, Rosa, Creme, Buntgestreift. Verlangt man allen Ernstes von mir, dass ich meinem Unglück auf diese Weise nachhelfe?
    »Oliver soll heute Abend in Ohnmacht fallen, wenn er mich sieht. Also sag schon, welchen findest du am besten?«
    »Mi r … ich würd e … die sind doch alle ganz schön«, stottere ich, und wenn ich nicht gleich diese Umkleidekabine verlasse, bin auf alle Fälle ich diejenige, die in Ohnmacht fällt.
    »Marie, mir ist nicht gut. Ich geh schon mal raus.«
    »Na toll!«, ruft sie mir hinterher, als ich aus der Umkleide flüchte, während sich mein Frühstück bereits den Weg in die Freiheit zu bahnen versucht.
    Draußen lasse ich mich auf die nächstbeste Bank plumpsen und ringe nach Luft. Mein Gesicht glüht. Ich bin nicht traurig, nicht wütend, nicht einmal insgeheim wütend. Ich bin gar nichts mehr. Ich bin leer.
    Ich dachte, ich hätte mich ans Lügen gewöhnt. Ich dachte, die letzten sieben Tage hätten mich gegen alles abgehärtet, was heute passieren könnte. Ich dachte, sieben Tage reichen, um aus mir eine skrupellose Person zu machen. Davon abgesehen habe ich es seit letztem Samstag sowieso schon aufgegeben, mich wie ein liebenswerter Mensch zu fühlen.
    Am Abend sitze ich auf der Dachterrasse und starre über die Dächer der Stadt, starre auf das Dach eines Hauses, unter dem ein Mädchen wohnt, dem vielleicht gerade das schwarze Haar über die nackten Schultern fällt, die mal die Träger eines weißen Spitzen-BHs zierten.
    Es lohnt sich nicht, mich aufzuregen, rede ich mir ein. Keiner könnte so einer Versuchung widerstehen. Nicht einmal er. Ich will es ihm verzeihen.
    Diese Nacht hat nichts mit ihm und mir zu tun, sage ich mir. Nichts. Ist bloß Sex, sonst gar nichts. Jungs können das prima trennen. Sie können mit einem Mädchen schlafen, ohne etwas für es zu empfinden. Weißt du doch selbst, denke ich und zerre alle Typen aus meinem Gedächtnis hervor, die mit mir ins Bett wollten, nach bloß einem Abend. Kannten die mich vielleicht? Nö.
    Aber wenn man einen liebt, so wie ich ihn liebe, erhofft man selbst das Unmögliche. Da steht man unterm Sternenhimmel, heult sich die Seele aus dem Leib und betet, dass drei Häuser weiter ein Wunder geschieht. Der Sieg über die Biologie.
    Mein Handy klingelt. Vanessa. Das ist heute schon das dritte Mal, dass sie versucht mich zu erreichen. Seit Oliver und ich letzten Samstag auf ihrer Geburtstagsparty waren, hält sie sich anscheinend für meine beste Freundin. Ich mache gute Miene zu

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