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Zwei Sommer

Zwei Sommer

Titel: Zwei Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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dass sie immer alles aushält. Dass noch nie ein einziges Glas zu Bruch gegangen ist unter ihren Händen, dafür hasse ich sie am allermeisten.
    »Ich geh mal telefonieren«, sage ich, lasse mein Müsli stehen und flüchte aus der Küche. So viel Lethargie ertrage ich einfach nicht an diesem Sonntagmorgen. Im Flur greife ich nach dem Telefon, gehe in mein Zimmer, schließe die Tür ab und wähle seine Nummer.
    »Rothmaler?«
    Seine Mutter.
    »Hallo, ich hätt gern mal Olli gesprochen«, sage ich und lasse es wie ein ganz normales Anliegen klingen.
    »Der ist noch nicht zu Hause. Kann ich ihm was ausrichten?«, antwortet Frau Rothmaler. Ihre Worte klingen vernichtend normal .
    »Nei n … ä h … nein, danke. Wiedersehen.«
    Der ist noch nicht zu Hause.
    Ein Dutzend Mal rauscht dieser Satz durch mein Sprachzentrum.
    Der ist noch nicht zu Hause.
    Ich übersetze diesen Satz in meine Sprache und eine eiskalte Hand umklammert mein Herz:
    Der ist noch bei Marie.
    Marie.
    Marie.
    Marie.

9
    »Eine Beziehung ist die Summe aus verschiedenen Phasen von Blödheit.« Für Sätze wie diese hätte ich Marie am liebsten immer geschüttelt. Dass ich ihr ausgerechnet heute damit Recht geben würde, hätte ich noch gestern Abend nicht für möglich gehalten.
    Was hat sie gesagt oder getan, dass er sein Versprechen, sich von ihr zu trennen, gebrochen hat und mein Herz so auf die Probe stellt?
    Oder gibt es am Ende eine ganz harmlose Erklärung dafür, dass er noch nicht zu Hause ist? Es gibt schließlich fünftausend andere Möglichkeiten, seinen Sonntagvormittag zu verbringen als mit Marie. Mir fällt bloß gerade keine einzige ein.
    Man muss keine Pessimistin sein, um in einer Situation wie dieser den Boden unter den Füßen zu verlieren: Eine wortgewaltige Diva zur Konkurrentin und einen Spitzen-BH zum Feind – Isa, du hast eine Übermacht gegen dich.
    Und warum passieren Katastrophen wie diese immer ausgerechnet sonntags? Ich mag Sonntage sowieso schon nicht besonders. Eine Abneigung, die ich mit Marie teile. Aus verschiedenen Gründen.
    Die Stadt und meine Mutter liegen alle sieben Tage wie im Koma. Die Straßen sind leer. Weil jeder bei jemandem ist, zu dem er gehört.
    »Und in jeder mittelmäßigen Grünanlage schieben sich Rentner und Verliebte wie in Zeitlupe über den Kies.« Hallo Marie. Warum bloß kann ich mir deine Sätze so gut merken?
    Wenn man wenigstens bummeln gehen und sich eine neue Verpackung schenken könnte! Wenn man sich innerlich schon wie ausgestorben fühlt, sollte man wenigstens gut dabei aussehen. Sonntage wie diese sind einfach zum Davonlaufen. Dumm nur, dass überall Sonntag ist.
    Eine Stunde später sitze ich neben Toni in unserem Lieblingscafé und ringe mit dem ersten Satz. Unter den drei Kastanienbäumen. Bei einem Glas Latte macchiato zum Festhalten.
    Ich musste mich endlich jemandem anvertrauen. Ich hatte Olli versprochen, mit niemandem über uns zu reden, bevor er es nicht Marie gesagt hatte, und die letzten acht Tage hatte ich mich mit diesem Versprechen herumgequält. Aber acht Tage können einem wie eine Ewigkeit vorkommen, wenn man ein Geheimnis mit sich herumträgt, das mehr wiegt als man selbst und das mit jedem Tag und mit jeder Lüge schwerer wird.
    Manchmal weiß ich überhaupt nicht mehr, wer ich eigentlich bin und ob ich vor Glück nicht einschlafen kann oder weil ich mich so verachte.
    Alles, was mir in den Sinn kommt, klingt irgendwie unangebracht. Toni sieht mich die ganze Zeit mit großen Kulleraugen an und rechnet nach unserem Telefonat von eben, in dem ich mich unter Schluchzen in dramatischen Andeutungen verstrickt habe, mit dem Schlimmsten.
    Als mir auch der hundertste Anfang meiner Rede misslingt, beschließe ich, einfach mit der Tür ins Haus zu fallen.
    »Toni, ich hab was mit Olli.«
    »Was?« Toni entfährt ein kurzes grelles Lachen. Dann lässt sie den mit Milchschaum beladenen Löffel ins Glas fallen, ihre Gesichtszüge versteinern. »Ach du Scheiße.«
    Das sind nicht unbedingt die mitfühlenden Worte, auf die ich gehofft habe.
    »Und Marie?«
    Und das ist die Frage, auf die ich am allerwenigsten gehofft habe.
    Toni rührt stumm in ihrem Kaffee herum, bis ihm schwindlig wird. »Seit wann?« Endlich hat sie die Sprache wiedergefunden und der Milchschaum den Weg in ihren Mund.
    Das ist überhaupt die allerbeste Frage von allen, denn so genau weiß ich das im Grunde selbst nicht mehr. Angefangen hat es wahrscheinlich, als ich Olli das erste Mal gesehen habe, irgendwann

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