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Zwei Stunden Mittagspause

Zwei Stunden Mittagspause

Titel: Zwei Stunden Mittagspause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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umklammerte den Steuerknüppel.
    »Verflucht!« schrie er sich selbst an, und da er das Mikrophon noch eingeschaltet hatte, hörten es die Leute im Funkturm des Flugplatzes Stuttgart mit. »So eine Scheiße!«
    Er zog das Höhenruder an, um aus dem Griff der Winde zu kommen, aber das kleine Flugzeug taumelte nur noch hin und her.
    Es war ein Spielball der Elemente geworden.
    Heinrich Zumbach verlor die Orientierung. Er wußte nicht mehr, wo oben und unten war, ob er in den Himmel schoß oder der Erde und damit den Felsen der Alp näher kam.
    Der Balken des künstlichen Horizontes kreiselte herum wie ein aus den Fugen geratener Sekundenzeiger … der Kompaß bewies Zumbach, daß die Chessna sich um sich selbst drehte, als sei sie eine Kunstflugmaschine, über die man die Kontrolle verloren hatte. Wie lange die leichte Maschine diese Belastung aushalten würde, war nicht zu erraten.
    »So ein Mist!« brüllte Zumbach und versuchte, die Chessna wieder in den Griff zu bekommen.
    Aber die Natur war stärker … er trudelte herum, umzuckt von Blitzen, eingepackt von Wolken und hatte nur die Möglichkeit, zu hoffen, daß er von selbst aus dieser grauweißen Hölle in die freie Luft hinausstoßen würde.
    Auf der Bodenstation hörten sie Zumbachs verzweifelten Kampf mit. Niemand konnte ihm helfen, aber keiner hatte auch Mitleid mit ihm.
    »Wer solch ein Idiot ist«, sagte der Leiter des Flugsicherheitsdienstes heiser vor Erregung, »der verdient, daß er abstürzt. So grausam es ist, und man darf es als Fliegerkamerad eigentlich gar nicht aussprechen … aber er hat's nicht anders verdient. Wir haben ihn rechtzeitig gewarnt. Da …«
    Aus dem Lautsprecher tönte wieder die Stimme Zumbachs. Schreiend, voller Verzweiflung.
    »Der linke Motor fällt aus! Ich kann das Seitenruder nicht mehr bewegen. Ich fliege mitten im Auge des Gewitters. Herrgott, ich komme 'runter. Wo bin ich überhaupt? Kann ich notlanden?«
    Im Kontrollturm Stuttgart, aber auch in Freiburg, berechnete man in aller Eile durch Radarpeilung den Standort Zumbachs. Er flog gerade über Ebingen, und wo er auch notlanden würde, überall waren Täler und Felsen, in denen er mit seiner Maschine unweigerlich zerschellen würde.
    »Fliegen Sie zum Donautal!« zirpte es in Zumbachs Kopfhörern. »Südlich halten … können Sie noch navigieren?«
    »Donautal!« brüllte Zumbach zurück.
    Er hielt sich fest, irgendwo an den vielen Griffen und Hebeln. Die Chessna hüpfte in den Wolken wie ein junges Böckchen.
    »Als wenn ich wüßte, wo die Donau ist!« schrie er dann. »Ich fliege durch eine angebrannte Erbsensuppe! Himmel noch mal … jetzt arbeitet der rechte Motor unregelmäßig. Er spuckt und stockt. Ich muß 'runter!«
    Zumbach rann der Schweiß über das Gesicht, und es war kalter, klebriger Angstschweiß. Er versuchte, das Flugzeug herunterzudrücken, aber es war, als sei der Steuerknüppel nur noch als Verzierung an der Maschine.
    Der Sturm packte die Chessna, warf sie wie einen Ball hinauf und hinunter, jagte sie durch Wolkenbänke, die schwarz waren, und ließ die Blitze neben ihr zucken wie ein zu nahes Feuerwerk.
    Zumbach starrte bleich auf die Armaturen. Sie schwiegen, die Zeiger reagierten nicht mehr. Defekt in der elektrischen Leitung. Er war ein Nichts geworden, ein Staubkorn zwischen Himmel und Erde. Der Sturm trieb es davon, wohin er wollte.
    Zehn Minuten blieb Zumbach im Kern des Unwetters.
    Zehn Minuten, in denen er sein ganzes Leben abbüßte.
    Zehn Minuten, in denen er die Todesangst auskostete, bis sein Herz fast verbrannte.
    Zehn Minuten wie zehn Ewigkeiten, wie zehn Höllen, zehntausend Büßerjahre, zehn Gottesgerichte.
    Dann begann die Chessna abwärts zu trudeln.
    Zumbach klammerte sich fest, riß am Höhenruder, fluchte und schrie und verdammte alles.
    Im Kontrollturm von Stuttgart hörten sie alles mit, und das Blut gefror ihnen zu Eis.
    Wie ein Stein durchstieß das Flugzeug mit Zumbach die Wolkendecke. Er sah die Erde wieder, glänzend vor Nässe, beleuchtet von zuckenden Blitzen.
    Aber er sah auch, wohin er fiel. Ein Bergmassiv. Schroff, waldreich, von oben wie verfilzt aussehend.
    Und Zumbach dachte, ganz klar, merkwürdig fern allen Dingen, als sei er schon außerhalb seines Körpers und nur noch beobachtende Seele: Das ist der Lemberg, eintausendfünfzehn Meter hoch. Hier werde ich sterben, auf dem Lemberg, an einem Felsen, in den Baumwipfeln, irgendwo da unten in der nässedampfenden Einsamkeit.
    Die Erde raste näher, schneller,

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