Zwei Stunden Mittagspause
als man denken konnte.
»Das Ende!« brüllte Zumbach in sein Mikrophon. »Am Lemberg. Es ist die Strafe Gottes. Grüßt meine Frau Luise. Mein Gott, mein Gott … ich sehe meinen Tod …«
Sieben Sekunden später zerschellte er auf einem Felsplateau. Die Chessna zerbrach, das Benzin floß aus, entzündete sich und explodierte. Die Wrackteile spritzten Hunderte Meter weit auseinander, und mit ihnen auch Heinrich Zumbach, dessen letzter Gedanke ein Nichts war, und der die Augen geschlossen hielt, als er aufprallte.
Er spürte nichts von seinem Zerfetzen … darin ist der Tod aus den Wolken gnädiger als der Tod auf den Straßen.
Auf den Radarschirmen in Stuttgart und Freiburg erlosch ein kleiner Punkt.
Aus. Zu Ende.
Ein Mensch hatte aufgehört zu leben.
Im Kontrollturm von Stuttgart faltete der Flugleiter die Hände. Dann sagte er tonlos: »Alles alarmieren, Feuerwehr, Rettungswagen, die Hubschrauberstaffel in Pfullingen. Vielleicht hat er's überlebt …«
Aber das war nur eine Redensart, er wußte es selbst.
15
Man fand Heinrich Zumbach erst einen Tag später knapp unter dem Gipfel des Lembergs. Das heißt, man fand sein zerschelltes Flugzeug. Von ihm selbst sammelte man auf: zwei Arme, zwei Beine, ein Stück Rumpf. Der Kopf fehlte.
So intensiv man in den Trümmern und den Aschenresten auch suchte und die Gegend durchstreifte, mit Militär, Suchhunden und Sonden … man fand den Kopf nicht. Man legte die Überreste in einen Sarg, plombierte ihn und händigte Heinrich Zumbach der Witwe aus.
Ihr sagte man nicht, daß ein Mensch ohne Kopf im Sarg lag … im Gegenteil, der Staatsanwalt, der dem Gesetz nach den Absturz untersuchen mußte, sprach sein Beileid aus und sagte, Zumbach habe wie ein Schlafender ausgesehen, keine äußeren Verletzungen, er habe sich das Rückgrat gebrochen … eine so fromme Lüge, daß Luise sie sogar glaubte.
Um es nicht zu verschweigen: Man fand den Kopf drei Wochen später. Holzfäller, die ein Waldstück abholzten, entdeckten beim Entasten in der Krone einer hohen Tanne, festumklammert von Gestrüpp, das abgerissene Haupt Zumbachs. Es wurde in aller Stille, aber mit kirchlichem Segen, an der Friedhofsmauer von Reichenbach begraben.
Benno Großmann versuchte, Luise zu trösten. Er lag nach seiner Schlafmittelvergiftung fest im Bett, bewacht von seinem Sohn Dieter, aber allein mit seinen bohrenden Gedanken.
Als Luise ihm den Tod Heinrichs berichtete, tastete er nach ihrer Hand. Sie war kalt und wie leblos.
»Es kommt über uns wie ein biblisches Strafgericht«, sagte er matt. »Warum wohl, warum? Erst Margot, jetzt Heinrich. Waren wir zu üppig? Ich beginne langsam, wieder an Gott zu glauben. Jetzt sind wir beide allein …«
Luise zögerte. Soll ich ihm die Wahrheit über Margot sagen? Soll ich sagen, daß Heinrich auf der Flucht starb? Daß alles im Leben irgendwann einmal der Gerechtigkeit verfällt? Daß jeder zahlen muß für seine Fehler, früher oder später, schwer oder weniger schwer? Es gibt im Leben keine Rechnung, die nicht beglichen wird … am Ende eines Lebens stimmt immer die Bilanz.
Aber sie schwieg. Sie sah, wie bleich Benno war, wie hohl seine Augen, wie verzweifelt verkniffen seine Lippen, wie fahrig seine Hände, die über die Bettdecke strichen.
Er ist selbst noch am Rande des Lebens, dachte sie. Und auch er ist ein Opfer Heinrichs, ein völlig unschuldiges Opfer, zur Verzweiflung getrieben durch Lüge und Betrug.
Es war schrecklich … aber plötzlich verschwand aus ihr die Trauer um Heinrich Zumbach, erstarb der innere Schmerz. Dafür kam Mitleid mit Benno Großmann in ihr auf. Sie beugte sich über ihn und küßte ihn auf die verkniffenen Lippen.
»Danke, Luise …«, sagte Großmann leise. »Es ist alles falsch verteilt. Heinrich sollte leben und ich im Sarg liegen …«
»Vielleicht ist es so besser, Benno.«
»Nein. Heinrich war ein feiner Kerl. Er hätte uralt werden müssen.«
Wortlos verließ Luise das Schlafzimmer Großmanns. Auf der oberen Diele der Villa saß Dieter auf einem Barockstuhl, die Hände zwischen die Knie geklemmt.
»Wie hat er's aufgenommen?« fragte er leise.
»Ich glaube, ihn kann nichts mehr erschüttern. Dieter, du mußt auf deinen Vater gut aufpassen. Sein Selbstzerstörungstrieb ist Wahnsinn! Er hat es nicht nötig. Wenn einer leben soll, dann er. Er ist ein wertvoller Mensch.«
»Sag ihm das mal! Er glaubt es nicht mehr. Die Nachtschwester kann kein Auge zutun. Immer muß man damit rechnen, daß er sich aus dem
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