Zwei Stunden Mittagspause
…«
Luise erhob also keine Einwände, auch wenn sie jedesmal vor Angst blaß wurde, wenn Heinrich mit einem kühnen Start in die Wolken stieß und seine kleine Maschine als heller Punkt in der Weite des Himmels aufgesaugt wurde wie ein Tautropfen von der Sonne.
Und sie war jedesmal glücklich, wenn die Chessna wieder über dem Flugplatz einschwebte, mit gedrosselten Motoren ausrollte und brummend vor den Hangar fuhr. Dann hatte sie Heinrich geküßt, als sei er aus einer anderen Welt zurückgekommen.
Keine anderen Ambitionen … Zumbach stellte die Automatik ein, jetzt flog die Chessna geradeaus, in gleicher Höhe und Geschwindigkeit, ohne daß er groß auf die Instrumente achten mußte. Er nahm sogar die Kopfhörer von den Ohren, was streng verboten war, lehnte sich in dem Pilotensitz zurück und starrte aus dem breiten Seitenfenster hinunter auf die langsam unter ihm weggleitende Erde.
Dörfer … Häuser wie aus einem Spielzeugladen, Felder, Straßenbänder mit kriechenden Käfern – das waren Autos –, grüne Flecke von Wäldern, ein Stück Landkarte also, spielerisch schön und immer wieder faszinierend.
Was soll werden? dachte Zumbach. Zunächst Zürich, dann Locarno. Dort abwarten, was der neue Partner in Rio de Janeiro schreibt.
Das letzte Telefongespräch kurz vor dem Abflug hatte Klarheit geschaffen: Auf Heinrich Zumbach wartete in Südamerika das Projekt einer neuen Stadtgründung. Eine Stadt mitten im Urwald, wie damals Brasilia, die neue Hauptstadt.
Ein Projekt von Phantasten, so könnte man meinen, wenn nicht die Realität alle Zweifel wegwischte. Eine Stadt im Mittelpunkt von neuentdeckten Schwefelgruben, von Silberminen und – so munkelte man – von Uranvorkommen.
Ein goldener Boden, über dem jetzt noch undurchdringlicher Urwald lag, Riesenbäume, verflochten mit Lianen und Orchideenranken, durchschnitten von Fieberflüssen voller Alligatoren und Piranhas, den Mörderfischen, bewohnt von unbekannten Indianerstämmen, die heute noch auf Kopfjagd gingen und mit ihren vergifteten Blaspfeilen sogar den Gewehren der Geologen überlegen waren. Es war der lautlose Tod, und mancher Bodenforscher kam nicht wieder.
Man begann, eine Zivilisation in eine unbekannte Welt zu tragen und damit unschuldige Menschen, die nur um die Stillung ihres Hungers kämpften, auszurotten. Ein gnadenloser Kampf, und Heinrich Zumbach würde in Rio sitzen, Pläne um Pläne zeichnen, Wohnsiedlungen, Straßen, Fabriken, Versorgungsbetriebe, und warten, bis die riesigen Bulldozer Schneise um Schneise in die Grüne Hölle gefressen hatten, um daraus ein goldglänzendes Paradies zu schaffen.
Paradies? War es ein Paradies? Ist Zivilisation ein Geschenk Gottes?
Zumbach bezweifelte es … Aber auf der anderen Seite hatte er in Rio Arbeit bis zum Lebensende. Das neue Leben war gesichert … vom alten Leben, aus dem er jetzt wegflog, wollte er nichts mehr hören. Es entfernte sich von ihm mit jedem Kilometer.
Ich habe Luise wirklich geliebt, dachte er. Sie war eine gute, tapfere, aufopfernde, zu allem bereite Frau. Ein richtiger Kamerad. Ohne sie wäre ich vielleicht nie der große Zumbach geworden, der Star-Architekt, der sich die Bauten aussuchen konnte, wo andere den Bauherren die Stiefel küßten. In den Aufbaujahren hatte sie mitgeholfen wie ein Maurerpolier … im Büro, auf den Baustellen bei den Kontrollen, nachts im Zeichenbüro … ein richtiger Kumpel. Das werde ich ihr nie vergessen. Und trotzdem habe ich sie betrogen …
Aber wer Margot Großmann gekannt hat, wird das verstehen. Natürlich wird er es vom moralischen Standpunkt aus verurteilen müssen, aber verstehen ist etwas anderes.
Wer Margot gegenübertrat, wen sie aus ihren grünlichen Augen anstarrte, mit halbgesenkten Lidern, den Mund leicht geöffnet, unter der Bluse oder dem Kleid eine Brust, die einem entgegenwuchs, sich in den Hüften wiegend, alles, alles an ihr nur Lockung, nur Versprechen, nur unverhüllter Sex … welcher Mann hätte da die feuchten Hände in die Taschen gesteckt und den heiligen Antonius gespielt? Kein Heinrich Zumbach … dazu war er nicht konstruiert, um einen Heiligen zu imitieren. Man mußte sich Margot mit fliegenden Fahnen und einem Seufzer ergeben, und es gab keinen, der dann noch an die Konsequenzen gedacht hätte.
Konsequenzen. Nun hatte er sie ziehen müssen. Ein halbes Leben war vertan durch den Tod Margots in seinen Armen. Wer hätte das ahnen können? Wer dachte an diese Gemeinheit des Schicksals? Ein
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