Zwei Stunden Mittagspause
fremden herben Stimme. »Benno, jetzt, wo Heinrich tot ist, muß ich dir etwas sagen. Daß ich bis jetzt geschwiegen habe, trotz allem, was geschehen ist, war ein letzter, furchtbarer Liebesdienst für Heinrich. Du weißt, ich habe ihn geliebt, und darum mußt du mich verstehen, daß ich jetzt erst spreche. Benno …«
»Ja, Luise.« Großmann starrte sie an. Sie war bleich wie das Bettlaken.
Luise rang nach Luft, die Worte fielen ihr schwer, als spucke sie Steine aus.
»Margot ist tot …«
Großmann sank in die aufgestellten Kissen zurück.
»Nein …« , stammelte er. »Nein … nein …«
»Doch, Benno. Sie ist in einer Mittagspause gestorben … zwischen zwölf und zwei. In einer kleinen Pension … in einem Bett … in Heinrichs Armen …«
Es gibt Augenblicke im Leben, da ist es einem unmöglich, den anderen Menschen gegenüber anzusehen. Sei es ein Schuldgefühl, eine plötzliche Scham oder die Angst, in den Augen des anderen Anklage, Frage oder Urteil zu erkennen … man weicht aus, sucht sich einen Punkt irgendwo und starrt ihn an.
Nicht anders erging es Luise Zumbach.
Sie sah an Großmann vorbei auf die Wand, auf eine dumme geblümte Tapete, Rosenranken, von der Sonne etwas verblichen, und wartete. Worauf sie wartete, wußte sie nicht.
Was sie Großmann gestanden hatte, war ein Zusammenbruch zweier kleiner, bisher intakter Welten … wenigstens schienen sie heil gewesen zu sein, bis zu jenem Tag, an dem Margot Großmann spurlos verschwunden war.
Benno Großmann lag in den aufgetürmten Kissen und starrte Luise stumm an. Seine Finger glitten sinnlos über die Bettdecke, immer hin und her, im Kreis, übereinander … eine erschütternde, von allen Lauten abgewürgte Hilflosigkeit.
»Mit … mit Heinrich …«, stammelte er endlich kaum hörbar.
»Ja.« Luise nickte.
»Du hast es gewußt?«
»Nein. Ich habe es durch Zufall entdeckt, an dem Tag, an dem du mit Dieter aus Afrika zurückgekommen bist. Ich habe Heinrich versprochen zu schweigen, bis er Europa verlassen haben würde. Er wollte nach Südamerika, ein neues Leben aufbauen, alle Brücken hinter sich abbrechen …«
»Das hat er ja jetzt gründlich getan.« Großmann legte beide Hände über seine Augen, als blende ihn das Licht. »Und wo … wo ist Margot jetzt?«
Luise schwieg. Sie atmete tief durch, schüttelte dann den Kopf und wollte vom Bettrand aufspringen. Aber Großmanns Hände hielten sie fest. Er klammerte sich an ihr fest.
»Sag es …« Seine Stimme versank in Heiserkeit. »Ich habe so unendlich viel geschluckt … da vertrage ich auch das noch.«
»Er hat sie im Wald verscharrt …«
»Im Wald …?« Großmann sank erschöpft zurück.
»Vergraben wie Aas …«
»Er befand sich in einer Panik, die alle Vernunft ertränkte. Da liegt er mit seiner Geliebten im Bett – und plötzlich ist sie tot. Die Frau seines besten Freundes. Was tun? Mein Gott, was tut man in solchen Situationen? Kann man da noch klar denken? Die Katastrophe bricht über einen herein. Das vollkommene Chaos. Und die Angst, die gemeine Angst.« Luise schwieg eine Weile, ehe sie fortfuhr:
»Heinrich war nie ein strahlender Held … nur immer in seinen Erzählungen, in seiner eigenen Phantasie. Im Grunde war er feige. Und nun hat ihn dieser Tod überfallen …«
»Du versuchst, ihn zu verteidigen?«
»Nein. Es ist merkwürdig … ich kann von Heinrich sprechen wie von einem fremden Menschen. Ich sehe ihn vor mir, als stünde er mit hundert anderen Mustermenschen in einem Schaufenster, und man kann in ihn hineinblicken, als sei er aus Glas … und alles sieht man in ihm, seine Fehler, seine guten Seiten, seinen Charakter, seine Träume und Wünsche, Probleme und Sorgen.«
Luise Zumbach sah Großmann jetzt an. Ihre Blicke trafen sich, zwei Menschen, die begonnen hatten, unter dem Trümmerhaufen ihres Schicksals hervorzukriechen.
»Ich versuche ihn zu verstehen, Benno, nicht zu verteidigen«, sagte sie dann. »Was er getan hat, ist nicht zu entschuldigen, aber man muß es logisch sehen. Ja, er hat Margot im Wald verscharrt, hat ihren Wagen an die Autobahnauffahrt gefahren und abgestellt, er hat ein gemeines Spiel mit uns allen getrieben, hat dich mit falschen Karten und Briefen von der Spur abgelenkt … und je mehr er dich ins Dunkle führte, um so heller wurde in ihm die Angst, daß er einen Fehler gemacht habe. Und er stolperte ja dann auch über ein kleines Mäppchen mit Streichhölzern …«
Großmann seufzte. Nun, wo er die Wahrheit wußte, wo
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