Zwei Stunden Mittagspause
Margots Tod etwas Endgültiges geschaffen hatte, atmete er auf, und doch verließen ihn die letzten Kräfte.
»Warst … warst du schon bei der Polizei?« fragte er.
»Nein. Du solltest es zuerst wissen, natürlich. Aber von hier aus fahre ich zum Präsidium.«
Luise stand auf. »Benno, wir haben beide die Hälfte unseres Lebens verloren … es hat keinen Sinn, die andere Hälfte auch wegzuwerfen. Es geht immer weiter im Leben …«
»Deine Tapferkeit ist überwältigend, Luise.«
»Tapferkeit?« Luise Zumbach lächelte bitter. »Es ist leicht, tapfer zu sein, wenn man in einer leeren Welt steht.«
Kriminalrat Franz Haberle ließ Luise Zumbach ausreden. Er unterbrach sie weder mit einer Frage noch mit einem Zwischenruf. Neben ihm lief das Tonband, von dem später die Aussage abgeschrieben werden sollte, damit man den Text in Ruhe durchlesen und als richtig unterschreiben konnte.
»Sie liegt in einem Waldstück«, sagte Luise Zumbach. »Mein Mann hat mir eine Skizze gegeben …«
Sie kramte in ihrer Handtasche und legte einen Zettel auf den Schreibtisch. »Hier ist sie.«
Kriminalrat Haberle schaltete das Tonband ab. Was jetzt folgte, war eine Unterhaltung, die nicht zu den Akten gehörte.
»Wir werden die Tote sofort exhumieren lassen. Hoffentlich war es wirklich ein Herzschlag.«
In Luises Gesicht zuckte es. »Sie kannten meinen Mann, Herr Kriminalrat. Zu einem Mord wäre er nie …«
Haberle unterbrach sie. »Als junger Assistent habe ich einmal – das war in Stuttgart – meinen besten Stammtischfreund verhaften müssen. Er hatte drei Jahre lang laufend Kinder geschändet. Meine Hand hätte ich für ihn ins Feuer gelegt, ein solcher Kumpel war er am Stammtisch … Man kann einem Menschen nur vor die Stirn sehen, Frau Zumbach, nicht dahinter.«
»Es war ein Unfall bei Margot Großmann. Glauben Sie es mir.«
»Wir werden die Obduktion abwarten müssen.«
Kriminalrat Haberle bot Luise eine Zigarette an. Sie nahm sie und rauchte sie mit schnellen, nervösen Zügen. Ihre Hand zitterte dabei.
»Sie … Sie glauben an die Beseitigung einer unbequem gewordenen Geliebten, nicht wahr?«
»Nein. Aber ich verstehe nicht, warum Ihr Mann so verrückt reagierte, als er Margot Großmann tot in seinen Armen entdeckte. Ein Anruf bei mir hätte alle Probleme aus der Welt geschafft … Fälle von Herzversagen nach – verzeihen Sie – sexuellen Exzessen sind gar nicht so selten, wie man glaubt. Das ist doch kein Grund, sein ganzes Leben aufs Spiel zu setzen!«
»Heinrich fürchtete den Skandal mehr als alles andere.«
»Blödsinn!« Haberle zerdrückte seine Zigarette in dem großen gläsernen Aschenbecher vor sich. »Die Freundschaft mit Großmann wäre in die Binsen gegangen, natürlich. Eine Scheidung mehr auf der Welt … wer spricht heute schon darüber? Hätten auch Sie sich scheiden lassen?«
»Unter diesen Umständen, ja. Ein Abenteuer, irgendwo auf Reisen, das hätte ich ihm verziehen. Ich war in dieser Hinsicht nie mit Treue verwöhnt worden. Aber die Frau seines besten Freundes, meine eigene Freundin … da bricht eine Kluft auf, die man nicht mehr überbrücken kann. Ja, ich wäre von Heinrich weggegangen. Und das wußte er … und deshalb die Panik, die Angst vor der Entblößung seines Wesens …«
»In drei Monaten hätte niemand mehr darüber gesprochen«, meinte Haberle.
Er drückte auf einen Klingelknopf, eine Sekretärin kam ins Zimmer und holte die Tonbandspule zur Abschrift ab. »Solche Probleme sind Affärchen, die man genießt wie eisgekühlten Kaviar. Man delektiert sich daran, und wenn der Teller leer ist, ist's auch schon vergessen.«
»Für Heinrich war dieser Tod ein Schock. Er war ein Feigling, kein Mörder.«
»Das eben werden wir bei der Exhumierung feststellen.« Haberle erhob sich und drückte Luise Zumbach beide Hände. »Eigentlich ist es nach dem Tode Ihres Mannes ohne Belang.«
»Nein.« Luise schüttelte den Kopf.
In der schwarzen Kleidung sah sie fast zerbrechlich aus, erschreckend zusammengefallen, aber auch merkwürdig verjüngt. Haberle, der sie vom Golfklub und vorn Tennisklub kannte, war leicht verwirrt.
»Für einen Kriminalbeamten ist das jetzt nur noch eine Routinearbeit … Ausgrabung einer Leiche … ein undramatischer Abschluß der Akten«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Aber für mich ist es mehr, ist es alles, was ich von meinem Mann übrigbehalten habe: die Gewißheit, daß er kein Mörder ist. Wenn er mir das hinterlassen hat, kann ich in Ruhe an
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