Zwei sündige Herzen: Roman (German Edition)
für neue Häuser und Hütten verwendet worden. Aber hier und da stand noch ein Stück Mauerwerk – die Ecke einer Kammer, ein Türbogen, der ins Nichts führte. Vierzehn unverzeihlich harte Winter hatten den Gesteinsquadern zugesetzt, und sie muteten so verwittert und unwirtlich an wie die vielen Basaltfelsen, die aus den endlosen Weiten der Moorlandschaft aufragten.
Der Zahn der Zeit und die Unbill der Witterung mochten über Jahrhunderte auf das Schlimmste wüten. Eine Feuersbrunst vermochte die umgebende Heidelandschaft zu verschlingen. Aber Nethermoor Hall würde nie ganz verschwinden, weil es aus Stein erbaut war, und Steine waren für die Ewigkeit.
Rhys wandte sich von den Ruinen des Herrenhauses ab und schlenderte das kurze Stück zu den Stallungen, besser gesagt dorthin, wo einst die Stallungen gewesen waren. Wo das Feuer ausgebrochen war. Eine niedrige Steinmauer, die das Gelände einfriedete, war der einzige Hinweis darauf, dass hier früher einmal die Remise gestanden hatte. Alles war mit Moosen und Flechten überwuchert. Er trat auf ein geschwärztes Stück Eisen, das am Boden lag. Der Zughaken von irgendeinem alten Zaumzeug vermutlich. Oder vielleicht auch etwas anderes. Er schauderte.
Hinter ihm tänzelte der Wallach leise schnaubend. Seinem Reittier war dieser Ort wohl ebenso wenig geheuer wie ihm. Vielleicht hätte er Darryls Geschichten mehr Glauben schenken sollen. Vielleicht hing noch der Geruch von verkohlten Pferdeleibern in der Luft. Bedeuteten die gespitzten Ohren, dass sein Wallach das leise Echo wiehernder Pferde wahrnahm, die sich im Todeskampf wälzten?
Rhys schauderte erneut. In den Jahren, seit er Nethermoor verlassen hatte, hatte er die Todesschreie etlicher Kreaturen gehört, von Mensch und Tier. Indes war keiner so unheimlich oder grausig gewesen wie die Geräusche, die dieser Ort in seine Erinnerung eingebrannt hatte – das kurze, rhythmische Schnalzen einer Reitgerte, das sich in der Ferne verlor, das hungrige Zischen eines windgepeitschten Flammenmeers und jene panischen Schreie der eingesperrten Pferde.
Darryl Tewkes hatte recht. Rhys hätte vor vierzehn Jahren mit diesen Tieren elendig zugrunde gehen sollen . Seitdem hatte er den Tod jeden Tag aufs Neue herausgefordert. Indes war er das menschliche Pendant zu einem Felsbrocken. Hünenhaft, hart, unverwüstlich. Er war von den täglichen Prügelstrafen in seiner Jugend gezeichnet, von zahllosen Raufereien im Internat und in den Tavernen, von wildem Schlachtengetümmel. Er war stärker, unerbittlicher und mit Narben daraus hervorgegangen, und er war noch am Leben.
Er weilte immer noch auf dieser Welt. So stand er vor diesem Steinhaufen und dem Elend, das er geerbt hatte.
Wenn Stein doch bloß brennen könnte.
Er schmeckte bittere Galle im Mund. Er drehte den Kopf, wollte ausspucken und krümmte sich unwillkürlich vornüber, weil ihn Übelkeit übermannte. Gottverdammich. Er war elf Jahre bei der Infanterie gewesen und hatte sich kein einziges Mal in der Schlacht übergeben.
Steh auf, ermahnte ihn eine innere Stimme. Jene kalte, gebieterische Stimme, die er niemals zum Schweigen zu bringen vermochte, selbst dann nicht, wenn hundert Kanonen in seinen Ohren donnerten. Steh auf. Ganz gleich, was ihn in die Knie zwang – Fäuste, Schüsse, ein Bajonett –, irgendwie schaffte er es jedes Mal, wieder auf die Füße zu kommen, bereit und willens, noch mehr einzustecken. Steh auf. Auf die Füße mit dir. Steh auf, du mieses Stück Abschaum.
Rhys richtete sich zu seiner vollen Länge auf.
Er drehte sich langsam um.
Und ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Er war versucht, direkt nach Lydford weiterzureiten und Buckleigh-in-the-Moor auf Nimmerwiedersehen hinter sich zu lassen. Indes blieb ihm nichts anderes übrig, als noch einmal umzukehren. Er hatte sein Reisegepäck im Three Hounds zurückgelassen. Sein Wallach war noch nicht versorgt worden, und er selber konnte ebenfalls eine Mahlzeit vertragen.
Vor allem aber drängte es ihn, Meredith wiederzusehen.
Sie verdiente eine Entschuldigung für jenen tölpelhaften Vorschlag letzte Nacht. Nur weil sie ihn als Einzige im Dorf freundlich begrüßt hatte, folgte daraus nicht zwangsläufig, dass sie freudig mit ihm in die Federn sprang. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, welcher Teufel ihn geritten hatte, dass er ihr dergleichen vorgeschlagen hatte. Er war sterbensmüde gewesen und auch ein bisschen trunken von jenen weichen, scheuen Blicken. Er hatte ihr schlicht und
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