Zwei Toechter und drei Hunde
ehe wir’s uns versehen, ist ihr der Kopf vornübergesunken, und mit einem tiefen Schnarcher steigt die sanfte Röte des Schlummers in ihr friedliches Gesicht.
Ich schaue auf die Uhr. Das ist gar nicht so einfach, da sich das Zifferblatt sanft im Kreise bewegt. Dieser Gumpoldskirchner! Dabei habe ich erst vier Glas intus, aber der Kerl da neben mir hat schon acht! Und den wollte ich unter den Tisch trinken! Säuft wie ‘n Loch. Altes Studententraining. Was wollte ich eigentlich? Enrico — na, so was Komisches! Enrico Caruso!
»Caruso«, sage ich feierlich, »Enrico Caruso, kannst du mir sagen, was ich wollte?«
Er erwägt meine Frage eine Weile, richtet sich dann leuchtenden Auges auf: »Du wolltest gehen!«
»Du dann aber auch!«
Er nickt trübe: »Ja, ich auch. Hinaus ins feindliche Leben, sozusagen. Vor-vorher müssen wir aber dieses Kind in sein Bett-chen bringen!« Und damit nimmt er sehr vorsichtig Margots Kopf und kippt das ganze Mädchen nach hinten in den Sessel. Sie lächelt, ein unbeschreiblich liebliches Lächeln: »Nicht so hastig — nicht so hastig, wir haben doch Zeit!« flüstert sie. (Diese Äußerung stammt offenbar aus der Buddy-Schublade.)
Der nichtsahnende Enrico legt mir den Arm um die Schulter: »Mona Lisa«, flüstert er, »komplett Mona Lisa — siehst du diesen halb irrsinnigen, halb verschlag-verschlagegenen Zug um den Mund, ewiges Rätsel Weib — das Urbild...«
»Halt!« sage ich. »Jetzt weiß ich, was ich wollte: nach der Uhr sehen!« Ich tue es und vermag festzustellen, daß es halb elf ist.
»Meinst du, wir mü-müssen sie ausziehen, bebevor wir sie hinlegen?« fragt Enrico, der sie noch immer fasziniert anstarrt.
»Nein! Es ist zwar schon halb elf, aber wir werden Frau Singer bitten...«
»Keine — keine Frau Singer!« bemerkt er aufrührerisch.
»Das ist die Wirtin. Und wenn die schon schläft, kippen wir den Aschbecher aus und gehen einfach.«
»Warum Aschbecher?«
»Damit’s nicht brennt, während sie schläft.«
Er sieht mich sehr ernst an. »Das ist eine große Idee!« Steht auf, reißt das Fenster auf und schüttet den Aschbecher aus. Dabei fliegt der Aschbecher mit. Wir hören ihn unten aufschlagen und einen ärgerlichen Ausruf. Enrico dreht sich vom Fenster zurück und hebt dozierend den Zeigefinger: »Er hat geschimpft, folglich lebt er noch!«
»Wer?«
»Na, der da unten. Der Aschbecher, mein Freund, war nämlich aus Eisen — Ku-ku-kunstgewerbe, eisernes. Fallgeschwindigkeit mal Gravitationskomponente, dividiert durch Gumpoldskirchner. Hättest du mich verteidigt?«
»Ich hätte dich bestimmt verteidigt, Enrico.«
»Auch vor dem Schwurgericht?«
»Da erst recht.«
Er kommt vom Fenster und umarmt mich. »Du bist mein Freund!«
»So«, sage ich, »und jetzt holen wir Frau Singer.«
Er schlägt die Hacken zusammen: » Aye, aye, Sir .« Reißt die Tür auf und schreit mit Stentorstimme: »Frau Singer!!«
Gegenüber öffnet sich eine Tür, und etwas ganz Verschüchtertes in langem Hemd und Nachtjacke erscheint und knipst das Licht in der Diele an.
Enrico mustert sie majestätisch: »Frau Singer!«
»Ja, Herr Professor?«
»Bibibringen Sie dieses Kind zu Bett. Es hat Hennessy getrunken und träumt wie Momomona...«
»Lisa«, ergänze ich.
»Jawohl«, sagt Frau Singer und blickt ängstlich von einem zum anderen.
Enrico schüttelt ihr feierlich die Hand: »Wir sind Ihnen zutiefst verpflichtet, gnädige Frau, ganz abgesehen von Ihren Verdiensten um die Strafrechtsreform.« Er legt den Arm um meine Schulter: »Für uns fängt der Abend erst an. Gnädige Frau — in vino veritas! «
»Jawohl«, sagt Frau Singer abermals und huscht mit einem ängstlichen Blick auf mich in ihr Zimmer zurück. Sie erscheint mit einem Hausschlüssel, den sie mir in die Hand drückt, und fünf Minuten später stehen wir nach eifrigem Gebrauch des Geländers und längeren Bohrungen im Schlüsselloch wohlbehalten auf der Straße.
»Wir fahren jetzt ins Apollotheater!« erklärt Enrico und steuert, in seinen Taschen suchend, auf seinen Wagen zu.
Plötzlich ist jemand neben mir, mit hochgeklapptem Kragen: Buddy!
»Er hätte mich beinahe erledigt, der Schuft! Mit dem Aschbecher! Wie steht’s, Colonel? Was ist mit Margot?«
»Es steht gut, sie ist völlig blau, Frau Singer bringt sie gerade ins Bett und nun verschwinde.«
Er taucht in die Dunkelheit, aber Enrico, der nach vergeblicher Schlüsselsuche auf mich zukommt, hat ihn bemerkt und starrt ihm leicht schwankend
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