Zwei wie wir: Roman (German Edition)
Ferienpläne der Kinder besprechen und eigene Reisepläne für den Herbst machen, mit dem Steuerberater und mit dem Finanzamt telefonieren, dann mit Julians Lehrer, den Wagen endlich durch den TÜV bringen.
Ausnahmsweise einmal hat Inna unrecht, wenn sie behauptet, dass sie arbeitet wie eine Sklavin im alten Rom, während ich ein Leben führe wie Kaiser Nero im alten Rom. Diesmal sind wir beide Sklaven. Sie rackert in der Redaktion. Und ich überschlage mich im Schuster’s und gleichzeitig zu Hause, um die letzten Vorbereitungen für unser Fest am Wochenende zu organisieren.
D i e erste und einzige Auszeit in dieser Woche folgt am Mittwoch. Unser Tag. Ich habe etwas Besonderes vor. Inna wird Augen machen!
Sie kommt gegen halb acht nach Hause. Wir essen, bequatschen Orga-Dinge. Dann ziehen wir uns mit einer Flasche Wein ins Wohnzimmer zurück. Obwohl es draußen ein milder Sommerabend ist, bleiben wir drinnen. Ich bestehe drauf und ziehe sogar die Vorhänge vor, um das Licht zu dämmen.
»Was soll das? Hast du seit Neuestem Lichtallergie?«, protestiert Inna.
»Nein, ich will einfach nur besser sehen können.«
»Wir wollen Fernsehen? Das ist nicht dein Ernst, Schatz.«
»Doch. Aber warte es ab. Der Film wird dir gefallen.«
Ich wedele mit einer VHS -Kassette, die mir zufällig vergangene Woche während meiner Schlechtes-Gewissen-Aufräumaktion in die Hände gefallen ist. Im Keller stehen mehrere Kisten mit alten VHS -Tapes, direkt neben den Kisten mit alten LP s und alten Musikkassetten. Alte Datenträger. Alte Lebensträger.
Diese Kassette ist etwas Besonderes, eine Art Flaschenpost, die Inna und ich vor vielen Jahren an uns selbst geschickt haben und von der wir dachten, dass sie längst verloren gegangen ist.
»Bist du so weit?«, frage ich Inna.
»Ich hoffe, es lohnt sich, Süßer.«
»Das wird es. Du wirst dir selbst in die Augen blicken.«
Mit einem Seitenblick auf Inna schiebe ich die Kassette in den Schlitz des alten Rekorders, den ich eigens aus dem Keller geholt habe, wo er darauf wartete, zum Wertstoffhof gebracht zu werden. Er zieht das Tape mit einem mechanischen Sauggeräusch auf, hoffentlich gibt es keinen Bandsalat – ein Wort übrigens, mit dem Julian und Emma nicht das Geringste anfangen können. Ich drücke auf Play. Der Film beginnt.
Erst ein paar verwackelte Bilder, eine Wand, ein paar Beine, eine Hand. Kratzgeräusche, eine unverständliche Stimme, Lachen. Dann wird das Bild stabil. Ich sehe Inna an. Weiß sie, was kommt? Ich unterdrücke ein Lachen, sie schüttelt ungläubig den Kopf. Sie ahnt etwas.
Inna trägt ihr Hochzeitskleid, hat die Haare hochgesteckt, ist geschminkt. Und dreizehn Jahre jünger. Ich sitze neben ihr in meinem giftgrünen Anzug, den ich während unserer Hochzeit anhatte und in dem ich aussehe wie eine Nebenfigur aus der alten Batman -Serie der Sechzigerjahre.
Wir sind nervös, gucken uns an, gucken in die Kamera. »Läuft es schon?«, fragt Inna in die Kamera. Ihre Stimme hat sich nicht verändert. Der Rest schon. Ist besser geworden.
»Ich weiß nicht, keine Ahnung«, höre ich mich selbst sagen. Meine Stimme hat sich nicht verändert. Der Rest schon. Besser? Schwer zu sagen. Muss jemand anderes entscheiden.
Man sieht, wie ich mich nach vorne beuge. Meinen Arm, der an der Kamera herumfummelt. Ich schüttle den Kopf, dann brumme ich etwas, die Linse kippt nach unten, ich fluche, Inna lacht im Hintergrund. »Klar, das Ding läuft schon. Wir sind längst auf Aufnahme«, sage ich.
»Los, setz dich neben mich«, sagt sie.
Ich setze mich wieder hin, neben Inna. Wir sitzen auf einem Sofa, wie eines der Paare, die bei Harry und Sally auftauchen und erzählen, wie sie sich kennengelernt haben. Wir küssen uns, lang und leidenschaftlich. Das Ganze ist am 4. Juli 1997 aufgenommen, zwei Stunden vor unserer Hochzeit, im Hinterzimmer des Gasthofes, in dem wir unsere Gäste später nach der Trauung bewirten werden. Wir waren am Vormittag angereist, hatten unser Zimmer bezogen, uns umgezogen. Uns von Achim die Videokamera geliehen, ohne ihm zu sagen, wofür wir sie genau brauchen. Es ging niemanden etwas an. Nur sie und mich, unser Geheimprojekt. Nicht für die Öffentlichkeit.
»Wer fängt an?«, höre ich mich selbst sagen.
»Du«, sagt Inna.
»Nein, du.«
»Ich?«
»Genau.«
»Wieso nicht du?«, sagt sie frech.
»Weil ich es zuerst gesagt habe.«
»Blöder Grund.«
»Hast du einen besseren?«
»Nein.«
»Dann los. Ladies first .«
»Okay.«
Sie
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