Zwei wie wir: Roman (German Edition)
scheint die Wärme zwischen uns reichlich gedrosselt zu sein.
Stattdessen geben wir uns dem Alltag hin. Für Inna heißt das, dass sie mindestens zehn Stunden am Tag in ihrer Redaktion auf Hochtouren läuft. Sie behauptet zwar steif und fest, dass es ihr Spaß macht. Aber es fällt mir schwer, das zu glauben. Habe ich Torsten angelogen? Haben wir doch Probleme?
Die folgenden Tage wickeln wir ungefähr so gesprächig ab wie eine U-Boot-Besatzung auf Schleichfahrt. Aber das ist normal. Wir haben Routine darin, um mit diesem ganz normalen Wahnsinn klarzukommen, wenn man eine Familie durchbringen muss.
Nach fast dreizehn Jahren Ehe kennen wir uns halt so gut, dass wir uns weitgehend mit Handzeichen verständigen können. Innas gestreckter Zeigefinger, mit dem sie vor ihrem offenen Mund Rein-Raus-Bewegungen macht: Du bereitest der Kleinen Frühstück und fährst sie dann in die Schule. Der Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand, mit der sie ihre Nase zusammenpresst: Ich habe dir schon zehnmal gesagt, dass du den Müll raustragen sollst, Schatz, und wenn du das nicht bald tust, ziehe ich mit den Kindern zu meinen Eltern. Die flache Hand, die eine schneidende Bewegung über den Hals macht: Julian ist gestern schon wieder betrunken nach Hause gekommen, und wenn du jetzt nicht endlich ein ernstes Gespräch von Mann zu Mann mit ihm führst, muss ich einen Erziehungsberater anheuern. Auf seinen leiblichen Vater könne er ja nicht zählen …
Wie gesagt, all das gehört zu den unvermeidbaren Nebenwirkungen einer Ehe, und wer so etwas nicht kennt, ist entweder Single oder nicht mit einer Frau verheiratet, sondern mit einer von diesen aufblasbaren Plastikpuppen.
Kein Grund, sich Sorgen zu machen.
An einem der Nachmittage taucht Inna im Schuster’s auf. Das macht sie ab und zu, und meistens sind es gute Momente, die wir dann miteinander haben. Inna kommt rein und die Jungs, Brommi, Bernd, Erik, begrüßen sie mit großem Hallo. Sie mögen Inna, und sie machen ihr Komplimente. Ab und zu lästern sie auch vor ihr über mich ab, aber Inna quittiert es mit einem Lachen. »Wenn er euch auf die Nerven geht, da ist die Tür«, sagt sie.
»Was machst du, wenn er dir auf die Nerven geht?«, fragt Brommi im Spaß.
»Ich zeige ihm auch die Tür«, antwortet Inna lachend.
»Nett von dir«, sage ich.
»Ist nur Theorie«, sagt Inna und versöhnt mich mit einem Kuss. Erik macht ihr einen frisch gepressten O-Saft. Wir setzen uns gemeinsam vor die Tür in die Sonne, eine kleine Auszeit, bevor uns der Alltag einholt und wir doch wieder nur Termine besprechen, die anstehen.
9
A m Wochenendesorgeichdaherdafür,dassdieDingewiederinsLotkommen.IchhabeeineÜberraschungfürInnageplant.IchweckesiefrühamSamstagmorgen,frühstückemitihr,undsiewundertsichdarüber,dassdieKindernichtdasind.
»Julian verbringt das Wochenende bei Rosie. Und Emma ist bei Oma und Opa«, erkläre ich ihr.
»Wieso das denn?«, fragt Inna.
»Weil ihre Eltern nicht da sind, um sich um sie zu kümmern.«
»Das sind wir, ihre Eltern, oder?«
»Genau.«
»Und wo sind wir?«
»Weg.«
Zum ersten Mal seit Tagen sehe ich sie: die Grübchen. Nicht ganz so ausgeprägt wie sonst. Aber unübersehbar. Ihr Lächeln, eine Wohltat. Ich kann wieder atmen.
Sie vibriert vor Neugier, aber ich gebe ihr keine Chance. Nach dem Frühstück bitte ich sie ein paar Sachen für die Nacht zu packen, dann setzen wir uns ins Auto und fahren los.
Auf der Fahrt hören wir CD s von U2 und der Lighthouse Family – weich gespült, aber genau richtig für diesen Tag. Inna fragt nicht mehr, wohin es geht. Ein Blick aus dem Wagenfenster ist Antwort genug. Es geht nach Norden, dorthin, wo das Land vom Meer nicht zu unterscheiden ist. Dorthin, wo es laut Werbung keinen Stress und keine Termine gibt. Dorthin, wo die Möwen am Himmel schreien und die Schafe am Deich stehen und einem der Wind alle krausen Gedanken aus dem Kopf pustet.
Der Norden, das Meer, der Strand, und zwei wie wir.
Es muss 1995 gewesen sein – im Herbst, kurz nachdem wir uns kennengelernt haben. Damals war noch gar nichts klar zwischen uns. Wir mussten miteinander reden wie zwei Alien-Species, die zufällig auf dem Flur der Enterprise zusammentreffen. Ich vom Mars, sie von der Venus. Obwohl das fast zu dicht ist. Sie vom Orion, ich vom Kronos. Auch damals hatten wir Julian, der noch keine drei Jahre alt war, bei ihrer Mutter gelassen. Wir hatten uns in den Wagen gesetzt und waren einfach losgefahren. Unendliche Gespräche,
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