Zwei wie wir: Roman (German Edition)
schon auf der Fahrt. Wer bist du eigentlich? Was magst du? Und was magst du nicht? Zwischendurch fuhren wir rechts ran und liebten uns auf einer Wiese, bis die Kühe um uns herumstanden und uns aus ihren großen braunen Augen anstarrten. Waren das überhaupt Kühe? Oder Stiere? Inna bekam Angst, und ich konnte nicht sagen, dass ich keine hatte. Mehr oder weniger nackt rannten wir zurück zum Auto. Die Kühe interessierte es nicht. Sie starrten uns nach und kauten weiter ihr Gras. Damals verbrachten wir drei Tage an der Küste, übernachteten in einer kleinen Pension direkt hinterm Deich. Ein winziges Zimmer unter dem Dach, eine Wirtin, die uns beim Frühstück strafend ansah, weil wir in der Nacht viel zu laut gewesen waren. Wir lachten sie einfach aus. Wir lachten alles aus – das Meer, den Himmel, sogar uns selbst. Die Dinge waren so leicht, dass sie vom Meereswind hochgehoben und zum Schweben gebracht wurden. Barfuß gingen wir durchs Watt, bis das Meer sich wieder blicken ließ und wir rennen mussten. Inna schnitt sich den Fuß an einer Muschelschale auf. Ich trug sie huckepack zurück zur Pension. Dann erst verriet sie mir, dass es gar nicht wirklich wehtat. Sie hätte nur wissen wollen, ob ich bereit wäre, sie auf Händen zu tragen. Ich war’s.
F ü nfzehn Jahre später bin ich es immer noch.
Auch unsere kleine Pension ist noch da. Dieselbe Wirtin begrüßt uns, und wir staunen, dass sie kaum älter geworden ist. Damals war sie fast siebzig, heute etwas über achtzig. Die Zeit vergeht langsam. Und wir? Damals knapp dreißig, heute über vierzig. Die Zeit vergeht verdammt schnell.
Wir packen unsere Sachen ins Zimmer, und dann rennen wir los: über den Deich zum Meer, das sich natürlich mal wieder beleidigt davongestohlen hat. Bis zum Horizont nichts als Matsche.
»Ach, das kommt wieder«, sagt Inna.
»Gehen wir es suchen«, schlage ich vor.
»Im Watt?«
»Na, klar. Da muss es ja irgendwo stecken, das Meer.«
»Lieber nicht, Alex. Im Ernst, das ist zu gefährlich.«
»Ist es nicht. Die Flut kommt erst in ein paar Stunden.«
»Sagt wer?«
»Ich.«
»Eben.«
»Danke.«
»Bitte.«
Sie lacht, und ich küsse sie, aber es ändert nichts daran, dass wir am Ufer bleiben, so verdammt vernünftig, dass ich kotzen könnte. Aber noch schlimmer ist ja, dass sie recht hat.
Zum Abendessen gibt es Fisch in einer kleinen Klause am Hafen. Keine Gäste außer uns. Eine knorrige Bedienung, aber verflucht gutes Essen. Ich will über damals reden, sie über heute. Sie gewinnt.
»Wenn Julian wieder die Versetzung nicht schafft, weiß ich nicht, ob es noch einen Sinn hat, dass er weiter zur Schule geht«, erklärt Inna mir.
»Ach komm, du siehst das zu negativ.«
»Nein, du machst es dir zu einfach.«
»Julian weiß ziemlich gut, was er will. Er hat nur keine Lust, mit uns darüber zu reden.«
»Und wenn du dich täuschst?«
»Vertrau ihm doch einfach mal. Und jetzt lass uns die Sorgen vergessen, Engel.«
»Bitte, Alex! Das ist wichtig. In zwei Wochen fängt die Schule wieder an, und im nächsten Jahr muss sich etwas bei ihm ändern. Wenn Julian sein Abi nicht schafft, was dann? Heutzutage bekommen die jungen Leute ohne Abi nicht mal mehr einen vernünftigen Ausbildungsplatz.«
»Bitte, Inna. Je mehr du ihn drängst, desto mehr verweigert er sich. Merkst du das nicht? Julian weiß, was er will. Und wenn er etwas nicht will, können wir auch nichts dran ändern.«
»Fällt es dir wirklich so leicht? Ist das das Einzige, was dir dazu einfällt?«
Ich sehe das P in ihren Augen. Das P für Panik. Aber ich sehe auch das S. Vor dem habe ich mehr Angst. Das S für Streit. Verdammt, schon wieder. Dabei weiß ich, dass ich recht habe. Julian packt die Schule. Aber er hasst es, wenn Inna die Aufseherin raushängen lässt. Nur, dass sie auf dem Auge blind ist. So wie alle Mütter.
»Ich werde mit ihm reden, okay? Ich mache ihm klar, was auf dem Spiel steht. Ich bin mir sicher, dass er auf mich hören wird.«
»Das ist nett von dir, Alex. Wirklich. Du kannst über die Themen besser reden als ich. Ach so, und wenn ihr das Gespräch führt … Ich habe wieder ein Tütchen in seinem Zimmer gefunden.«
Damit meint sie die kleinen Plastiktütchen mit dem aufgedrückten grünen Cannabisblatt darauf. Unser Sohn, ein Kiffer. Und wieder das P in ihren Augen. In meinen Augen dagegen das R. Das R wie Relax.
»Bitte, Inna. Mach kein großes Ding aus der Sache. Das ist heute so wie für uns damals ein Bier trinken. Sie tun es
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