Zwei wie wir: Roman (German Edition)
fürs Guinnessbuch?«
Ich blicke überrascht zur Seite. Unser Nachbar Rolf steht vor seiner Wohnungstür, guckt geradesaus ins Nichts und schlürft aus einer Kaffeetasse.
»Nein, Rolf. Kein Rekordversuch. Und auch kein Wettbewerb. Ich will einfach nur wieder nach Hause.«
»Beeindruckend.«
»Hoffentlich.«
»Willst du einen Kaffee?«
»Ja, wäre nett.«
»Los, komm rüber. Es gibt auch Brötchen, wenn du willst.«
Ich sehe ihn überrascht an. Besonders viel Kontakt hatten wir bisher nicht, und das obwohl wir seit Jahren nebeneinander leben. »Danke, Rolf. Das ist wirklich aufmerksam.«
»Ist doch Ehrensache, so unter Nachbarn.«
D i e Fortschritte sind winzig, aber sie sind unübersehbar. Eines Morgens steht ein dampfender Becher Kaffee vor meinem Zelt. Gut, er ist ohne Zucker und Milch, obwohl ich beides nehme – und Inna weiß das. Aber die Geste zählt schließlich.
Als es eines Abends zu schneien anfängt, öffnet Julian das Zelt und wirft mir eine Daunendecke hin. »Soll ich dir von Mom geben.«
»Wow. Hat sie noch irgendetwas gesagt?«
»Sie will nicht, dass du erfrierst, weil die Beerdigungskosten heutzutage unverschämt hoch wären.«
»War ihr Tonfall wenigstens nett?«
»Nein.«
Dennoch hat sie mir die Decke gegeben. Immerhin.
42
M i tte Dezember liegt Emma mit einer heftigen Erkältung im Bett. Inna rüttelt abends an der Zeltplane und sagt: »Es wäre nett, wenn du dich eine Weile ans Bett deiner Tochter setzt und sie tröstest. Es geht ihr nicht gut.«
Kurz darauf bin ich in Emmas Zimmer und lese meiner schniefenden und vor Fieber schwitzenden Tochter aus einem ihrer Lieblingsbücher vor. Es ist das erste Mal, dass Inna und ich gemeinsam zu Hause sind. Nachdem Emma eingeschlafen ist, will ich wieder nach draußen ins Zelt gehen. Inna ruft mir aus der Küche zu: »Hast du schon was gegessen? Ein Rest ist noch da.«
Wir sitzen zu dritt am Tisch, Inna, Julian, ich. Wir reden nicht, weil Inna, als ich etwas sagen möchte, energisch den Kopf schüttelt. Dennoch erfahren wir in dieser halben Stunde mehr Gemeinsamkeit als in den ganzen letzten Monaten. Bevor ich aufstehe, blickt Julian uns an und sagt: »Mir fehlen die Worte, um euch zu sagen, wie beknackt ihr seid. Aber sobald ich sie gefunden habe, lasse ich es euch wissen.«
Innas und mein Blick begegnen sich. Ein kurzes Lächeln huscht über ihre Züge. Sie sieht gut aus, denke ich. Ein wenig müde, aber ungeheuer anziehend.
I c h gehe mit Julian und Emma Weihnachtsgeschenke einkaufen. Unterwegs machen wir am Weihnachtsmarkt halt und essen Reibekuchen. Julian besteht außerdem auf einem Glühwein mit Schuss. Ich seufze und gebe nach, wenn auch nicht auf ganzer Linie. Glühwein ja, Schuss nein.
»Feiern wir Weihnachten zusammen?«, fragt Emma.
»Das würde ich gerne, Schätzchen. Aber ich glaube nicht, dass Inna damit einverstanden ist.«
»Frag sie doch einfach«, sagt Julian.
»Ich weiß nicht. Vielleicht möchte sie ja auch mit euch und Robby feiern.«
»Wieso das denn?«
»Na ja, ich glaube, eure Mutter und Robby mögen sich.«
Julian klopft sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Das ist längst vorbei. Oder hast du ihn etwa in den letzten Wochen hier gesehen? Du lagst doch die ganze Zeit vor der Tür. Sozusagen.«
»Stimmt. Er war nicht da.«
»Eben. Sie hat ihn abgeschossen. Ist nur noch ihr Tai-Chi-Lehrer. So wie früher.«
»Das hat sie gesagt?«
»Hat sie.«
R o sen, Briefe, Gedichte, Joggen, Tai-Chi, Zelten – ich weiß nicht, was davon gewirkt hat. Oder ob überhaupt etwas davon gewirkt hat.
Aber eines Tages kurz vor Weihnachten steht Inna plötzlich vor dem Zelt und bittet mich rauszukommen.
Ich ziehe den Reiverschluss auf, stecke den Kopf ins Freie und sage: »Hallo. Was für eine Überraschung.«
»Spar dir den spöttischen Tonfall.«
»Er war nicht spöttisch.«
»Willst du reinkommen?«
»Darf ich denn?«
»Sonst würde ich nicht fragen.«
Sie kocht sich selbst einen Tee, ich schenke mir ein Glas Weißwein ein. Wir setzen uns an den Küchentisch. Ich gehe zur Anlage im Wohnzimmer, lege eine CD von Radiohead ein. Inna steht kommentarlos auf und macht die Musik aus. Ich stehe kommentarlos auf und mache die Musik wieder an. Sie steht auf, macht sie wieder aus.
»Wenn du die Kacke wieder anmachst, machen wir nicht weiter.«
In Ordnung, also keine Musik. Nur sie und ich.
Zum ersten Mal seit Ewigkeiten ist sie nicht wütend. Oder höchstens ein kleines bisschen. So wie immer. Sie räuspert sich,
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