Zweiherz
Blickfeld. Mike verehrte Kaye wie eine indianische Göttin, war aus diesem Grund allerdings meistens zu schüchtern, um mit ihr zu sprechen. Wahrscheinlich trank er sich gerade Mut an, das war kein gutes Zeichen.
Endlich entdeckte sie Teena hinter dem Haus am Pool. Sie unterhielt sich mit Charlie Tsoosi, einem älteren Jungen aus Fort Defiance. Teena mochte Charlie, aber soweit Kaye wusste, hatte er ihr bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht änderte sich das jetzt. Jedenfalls machte es den Eindruck, so wie die beiden ihre Köpfe zusammensteckten.
Charlie war ein stattlicher junger Mann mit drahtigen Muskeln und einem fein geschnittenen Gesicht. Wenn da nicht die Narben wären und dieser rebellische Zorn in seinen dunklen Augen, hätte jeder ihn auf Anhieb sympathisch gefunden. Kaye hätte gerne mit Teena geredet, hielt es jedoch für besser, ihre Freundin jetzt nicht zu stören.
Am Tisch mit der Erdbeerbowle traf Kaye auf Rita Lindsay, Roberts Mutter. Sie war eine blonde, warmherzige Frau, die Kaye immer an eine gute Märchenfee erinnerte.
»Ich habe dich lange nicht gesehen, Kaye«, sagte sie. »Schön, dass du gekommen bist.«
»Ja, es ist ein tolles Fest.«
»Na, schließlich wird man nur einmal achtzehn.« Rita lachte und fragte: »Wie geht es eigentlich deinem Vater? Er lässt sich überhaupt nicht mehr blicken.«
»Gut«, sagte Kaye. »Er lässt Sie grüßen. Dad hat viel Arbeit, wie immer. Aber wenigstens ist die Schafschur jetzt vorbei.«
»Warum kommt er nicht mehr zum Pokern?«, fragte Roberts Mutter. »Wir spielen immer noch jeden Samstagabend.«
»Keine Ahnung. Aber ich glaube, ihm ist nicht nach Gesellschaft. Er vergräbt sich in seiner Arbeit. Mom fehlt ihm.«
»Dann sag ihm, wir vermissen ihn, und es wäre schön, wenn er wieder zu unserer Pokerrunde kommen würde.«
Kaye nickte. Sie mochte Rita Lindsay. Rob hatte eine Menge von seiner Mutter: das offene Wesen, die schlanke Gestalt und sein hübsches Gesicht. Außerdem besaß er einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, was ihn immer wieder mit seinem geschäftstüchtigen Vater anecken ließ. Manchmal fragte sich Kaye, wie es eine Frau von Rita Lindsays Natur überhaupt mit einem Mann wie Garland aushalten konnte. Einem Mann, der vor allem anderen immer zuerst an seinen Gewinn dachte. Mr Béeso nannten ihn die Navajos. Mr Money .
Außer der Tankstelle im Ort besaß Garland Lindsay noch Anteile an der Kohlemine auf der Black Mesa. Die Peabody Coal Mine Company betrieb dort einen der größten Kohletagebaue Nordamerikas. Navajos und Hopis waren von ihrem Land vertrieben worden und darüber erneut in Streit geraten, wem das Land nun eigentlich gehöre und wer das Zinsgeld von der Peabody Coal Mine Company eintreiben durfte. Damals hatten die Betreiber versprochen, das Land nach drei Jahren wieder zu kultivieren und den Indianern zur Nutzung zurückzugeben. Das war vor dreißig Jahren gewesen. Und unter der gesamten Black Mesa lag so viel Kohle, dass der Bergbau noch mehr als 60 Jahre weitergehen konnte.
Schaufelbagger rissen die Erde auf und vertrieben Navajo-Familien mit ihren Schafherden vom angestammten Weideland. Chemikalien von den Sprengungen vergifteten das Wasser und ließen Tiere und Pflanzen sterben. Nur wenige Indianer bekamen einen Job im Bergwerk und konnten so ihre Familien ernähren. Die meisten verloren durch den Kohlebergbau ihr Land, ihr Vieh und damit die Chance, auch in harten Zeiten zu überleben.
Für die Indianer war die Erde wund und zornig. Und wenn das Land unglücklich war, dann waren es auch seine Bewohner. Deshalb hassten die meisten Indianer die Kohlemine und Mr Béeso mochten sie auch nicht.
Kaye hatte in all den Jahren, in denen sie Rob kannte, nur wenige Worte mit seinem Vater gewechselt, weil der es stets eilig hatte. Geschäftsmänner waren eben geschäftige Männer. Immer auf der Jagd nach dem Profit. Deshalb gab es so wenige Geschäftsleute unter den Indianern.
Wenn ein Navajobaby geboren wurde, durfte es nicht mit Silberknöpfen oder kostbaren Steinen geschmückt werden, weil sein Herz rein bleiben und noch nicht von materiellen Dingen Besitz ergreifen sollte. Erst wenn ein Kind laut zu lachen begann, wurde ein großes Schenkungsfest abgehalten. Dann bekam das Kind Süßigkeiten, Früchte, Geldstücke und Steinsalz, das symbolische Geschenk der Salzfrau, die zu den Wissenden Leuten gehört. Im Reservat sagt man, dass sich ein Kind, für das keine Schenkungsfeier abgehalten wurde, zu einem
Weitere Kostenlose Bücher