Zweiherz
eigennützigen Menschen entwickelt, der nicht bereit sein wird, seinen Reichtum mit anderen zu teilen. Das war die einfache Erklärung der Navajos dafür, warum die meisten bilagáana versuchten, ihren Besitz auf jede erdenkliche Weise zu vermehren, und warum sie ihn nur in seltenen Fällen mit anderen teilten.
Kaye saß in Roberts Zimmer und starrte abwesend vor sich hin, als Teena hereinkam.
»Hey«, sagte Teena und umarmte Kaye. »Was machst du denn hier so ganz allein? Siehst traurig aus. Eigentlich müsstest du der glücklichste Mensch der Welt sein, jetzt wo Will wieder da ist.«
»Alle wissen es schon.« Kaye sah ihre Freundin an, als könne sie an dieser Tatsache noch etwas ändern.
»Tja, in abgelegenen Gegenden verbreiten sich Neuigkeiten nun mal schneller als der Wind.« Teena setzte sich neben Kaye auf Roberts Bett. »Es ist nur unangenehm, wenn der Klatsch einen selbst betrifft.«
»Es war Shelley, sie hat es überall herumerzählt.«
»Nimm es ihr nicht übel«, sagte Teena. »Shelley findet die Romanze zwischen dir und Will eben aufregend.«
»Romanze?« Kaye schüttelte unwillig den Kopf. »Das soll wohl ein Witz sein? Er hat keinen einzigen meiner Briefe gelesen.«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch. Er hat es mir selbst gesagt und ich glaube ihm.«
»Aber warum nicht?«, fragte Teena. »Ich verstehe das nicht.«
»Ich auch nicht. Vielleicht will er einfach nichts mehr mit mir zu tun haben.« Tränen stiegen Kaye in die Augen und sie schaute nicht auf.
Teena strich ihrer Freundin tröstend über den Rücken. »Das glaube ich nicht. Lass ihm einfach etwas Zeit, er wird es jetzt schwer haben.«
Kaye nickte, wischte sich mit dem Handrücken ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. Sie wusste, dass Will es schwer haben würde. Deswegen wollte sie ihm ja helfen, für ihn da sein. Sie hatte sich das alles ganz einfach und wunderbar vorgestellt. Doch es versprach, alles andere als einfach zu werden.
Sie schniefte und versuchte ein Lächeln. »Nun erzähl schon, wie ist es mit Charlie Tsoosie denn so? Ich habe euch unten am Pool sitzen sehen.«
Teenas Gesicht verdunkelte sich und sie schaute auf ihre Hände herab. »Ich mag ihn, und ich glaube, er mag mich auch.«
»Das ist doch toll, Teena. Ich freue mich für dich.«
Teena warf einen hastigen Blick zur Tür und sagte leise: »Er gehört einer Gang an, Kaye. Sie trinken, handeln mit Drogen und Alkohol, und wenn sie sich mit einer verfeindeten Gang in die Haare kriegen, wird auch mal schnell das Messer gezückt.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Charlie hat versucht auszusteigen, aber sie lassen ihn nicht. Sie haben ihm aufgelauert, ihn gequält, ihm keine Ruhe gelassen. Bis er wieder mitgezogen ist. Deswegen hat er mir auch nicht gezeigt, dass er mich mag. Er wollte mich da nicht reinziehen.«
Daher also die Narben. Kaye schluckte betroffen. » Hóyéé, das ist ja furchtbar. Was wollt ihr denn jetzt tun?«
»Keine Ahnung. Aber wenn meine Eltern erfahren, dass ich mit Charlie zusammen bin, werden sie mich zu Hause einsperren, bis aus mir eine alte Schachtel geworden ist.«
Kaye dachte einen Augenblick nach, dann legte sie den Arm um Teenas Schulter. »Ich könnte meinen Onkel bitten, Charlie zu helfen.«
Teena machte sich los, plötzlich Panik im Gesicht. »Deinen Polizistenonkel? Tu das nicht, Kaye, dann bringen sie Charlie gleich um. Und glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Robert betrat sein Zimmer und die Mädchen fuhren erschrocken auseinander. Der Junge stemmte die Fäuste in die Hüften und fragte kopfschüttelnd: »Was macht ihr denn hier? Eine Privatparty? Falls es euch entgangen ist: Ich habe heute Geburtstag. Eure Jungsgeschichten könnt ihr euch doch auch ein anderes Mal erzählen.« Er schnappte sich Kayes Hand und zog sie auf die Beine. »Na los, ihr beiden! Unten wird getanzt und es herrscht akuter Frauenmangel.«
Obwohl Kaye keine Lust hatte, folgte sie Robert nach unten, wo inzwischen eine Art Disco stattfand. Sie tanzte mit Rob und danach (es ließ sich nicht vermeiden) zweimal mit Mike Northridge. Aber als der blassnasige Junge, kühn vom Alkohol, die Kontrolle über seine Hände verlor, wurde es ihr zu bunt, und sie machte sich von ihm los.
»Ich glaube, das reicht jetzt«, sagte sie mit energischer Stimme und trat zwei Schritte zurück.
Mike wurde schlagartig nüchtern und bekam rote Ohren. Starr wie eine Felssäule, blieb er inmitten der Tanzenden stehen, als Kaye sich umdrehte und eilig nach draußen
Weitere Kostenlose Bücher