Zweiherz
Schafe auf die Weide treiben, was in den Ferien eigentlich die Aufgabe seines Sohnes sei, aber der würde sich in letzter Zeit ständig irgendwo herumtreiben und nicht einmal mehr nachts nach Hause kommen. Will verstand nicht alles, was die alte Frau sagte, aber es genügte ihm, um sich noch schuldiger zu fühlen, als er es ohnehin schon tat.
Schließlich verabschiedeten sie sich von der alten Dame und fuhren weiter nach Window Rock. Dort hängte Kaye das Schild: GESCHLOSSEN in die Ladentür ihres Geschäftes.
Ein letztes Mal versuchte sie, Will davon zu überzeugen, dass es vernünftig wäre, die Polizei zu verständigen und den Vorfall zu schildern. »Du kennst doch meinen Onkel Thomas, den Bruder meiner Mutter«, sagte sie. »Er ist Lieutenant bei der Stammespolizei. Sprich mit ihm. Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war, was dort im Water Hole Canyon passiert ist. Du hast selbst zugegeben, dass du Angst hattest, die Männer könnten zurückkommen.«
Aber von Polizei wollte Will nichts wissen. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte er. »Ich weiß ja nicht einmal, wie viele Männer es waren und was sie dort im Canyon gemacht haben. Ich weiß nicht, ob einer von ihnen mich oder Aquilar erkannt hat. Vielleicht beobachtet uns jemand.«
Kaye riss erschrocken die Augen auf und blickte misstrauisch um sich.
»Keine Angst«, sagte er, »ich weiß schon, was ich tue. Lass uns zuerst Aquilar besuchen und mit ihm reden. Wenn er es für richtig hält, kann ich immer noch zur Polizei gehen.«
Das leuchtete Kaye ein, also fuhren sie auf der 12 weiter nach Süden und bogen hinter Lupton auf die Interstate 40 ab, die direkt nach Holbrook führte. Sie kamen am Bídaho chii , dem roten Platz, vorbei, einer riesigen Hochplateaufläche, deren Südrand man von der Straße aus sehen konnte. Kaye liebte diesen Ort. Rote Steine, so weit das Auge reicht. Aber Will schien keine Augen für die Schönheit der Landschaft zu haben. Kaye ahnte, dass er sich verantwortlich fühlte für das, was dem Freund passiert war. Auch wenn Wills Navajokenntnisse ein wenig Auffrischung nötig hatten: Einen Großteil dessen, was die alte Frau gesagt hatte, hatte er sehr wohl verstanden.
Hätte Aquilar für seine Familie die Schafe gehütet, statt mit Will am Hogan zu bauen, würde er jetzt nicht mit kaputten Beinen im Krankenhaus liegen.
»Es ist nicht deine Schuld, Will«, sagte Kaye.
»Wenn nicht meine, wessen Schuld ist es dann?« Er sah sie an, und als sie nicht gleich antwortete, kam ein verzweifeltes »Ach Mist!« über seine Lippen. Er drehte das Gesicht von ihr weg.
»Die Männer sind schuld«, sagte Kaye.
»Aber ohne mich wäre Aquilar gar nicht dort gewesen, auf der Mesa, verstehst du? Mein Vater war immer der Meinung, jeder ist der Schöpfer seines eigenen Unglücks. Für ihn selbst traf das zu und wahrscheinlich auch für mich. Ich bringe allen Unglück, mit denen ich zusammen bin.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Kaye voller Bestürzung. Sie musste daran denken, was sein Vater getan hatte, und eine entsetzliche Angst packte sie. Angst um Will. »Was auch immer im Canyon passiert ist, Aquilar hat dir sein Leben zu verdanken. Und ich glaube, das weiß er auch. Du musst aufhören, immer nur schwarzzusehen, Will. Wenn du voller Bitterkeit, Wut und Schuld bist, werden diese Gefühle dein Leben bestimmen.«
Ein Anflug von Zorn mischte sich in seine Stimme. »Was weißt du schon von meinem Leben?«
»Eine ganze Menge, auch wenn du das nicht wahrhaben willst.«
Kojote schlich am Fuße der Mesa entlang und frohlockte. Seine Augen glommen wie Quecksilber. Die Zeit war nah. Zufall und die Geldgier der Menschen waren ihm zu Hilfe gekommen.
Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, um das Mädchen fernzuhalten. Sie war zwar nur zur Hälfte eine vom Volk, aber ihre Liebe war größer, als er vermutet hatte. Er musste sich eine List ausdenken, wenn er endlich ans Ziel gelangen wollte. Kojote bellte zufrieden.
12. Kapitel
A quilar Yazzie lag in einem schneeweißen Bett und schlief. Sein dunkles Gesicht, umrahmt vom tiefschwarzen Haar, sah jetzt beinahe kindlich aus. Ein Schlauch in seinem Handrücken führte zu einer Infusionsflasche, die an einem Ständer neben dem Bett hing.
»Wir haben ihm was gegen die Schmerzen gegeben«, sagte die Schwester. Sie nahm Aquilars Handgelenk und schaute auf die Uhr.
»Wann können wir mit ihm reden?«, flüsterte Will, der neben Kaye in der Tür des Krankenzimmers stand.
»Reden Sie
Weitere Kostenlose Bücher