Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
genau an. Es gab Dinge, die er wiedererkannte, und andere, die neu für ihn waren. Aber im Großen und Ganzen mochte er das Haus der Kingleys. Es war eingeschossig, was selten war für diese Gegend. Nur die Weißen bauten sich hier solche hohen Häuser. Sie mussten eben in allem die Größten sein.
    Will mochte das Haus auch deshalb, weil er sich hier einmal eine Zeit lang heimisch gefühlt hatte. Fünf Jahre, dachte er. Fünf Jahre fort von allem. Was bedeutete das überhaupt? Hier war das Leben unbeirrt weitergegangen, während es für ihn stillgestanden hatte. Er und Kaye konnten nicht einfach da weitermachen, wo sie vor fünf Jahren aufgehört hatten. Das konnte nicht funktionieren. Damals waren sie Kinder gewesen, doch die vergangenen fünf Jahre hatten sie in andere Menschen verwandelt.
    Die Fotos auf dem Kaminsims aus grauem Granitstein betrachtete er genauer: Kaye mit ihren Eltern; Arthur und Sophie Kingley; Sophie allein; Kaye mit ihrer Mutter und mit Jazz; Kaye mit Will.
    Er nahm das Bild vom Kamin und zeigte es ihr: »Glaubst du wirklich, dass ich hierhergehöre?«
    »Natürlich«, erwiderte sie, sah ihm fest in die Augen.
    Will stellte es zurück und starrte in den sauber gefegten Kamin. Aus Verlegenheit nahm er noch einen großen Schluck aus seinem Glas, spürte den Alkohol durch seinen Kopf und seine Beine tanzen.
    »Warum hast du meine Briefe im Gefängnis nicht gelesen?«, fragte sie unvermittelt. »Und warum tust du es jetzt?«
    Will versteifte sich. Er hätte nicht mit ins Haus gehen und vor allem nicht von diesem Whisky trinken dürfen, der jetzt warm in seinen Adern kreiste. Nun war die Falle zugeschnappt.
    »Kannst du das nicht verstehen?«, fragte er nach einer Weile des Schweigens.
    »Nein, überhaupt nicht. Ich habe versucht, dich an meinem Leben teilhaben zu lassen. Es war schon grausam genug, dass ich nie wusste, wie es in dir aussah. Aber du...!« Kurze, heisere Schluchzer kamen aus ihrer Kehle. »Und jetzt, wo wir eigentlich unsere Zeit gemeinsam verbringen sollten, da verkriechst du dich und liest alte Briefe, anstatt mit mir zu reden.«
    Der Whisky löste Wills Zunge, ohne dass er es wollte. »Ich hatte einfach Angst«, sagte er. »Ich wollte nicht irgendwann lesen, dass du jemanden kennengelernt hast. Im Gefängnis, da habe ich versucht, dich und das Res zu vergessen, weil ich glaubte, dass es dann nicht mehr so wehtun würde. Aber plötzlich bekam ich Panik, dass ihr mich vergessen haben könntet. Und ich hätte nichts, aber auch gar nichts dagegen tun können. Ich war so weit fort von dir und dem Land.« Er spürte, wie die Verzweiflung in ihm hochstieg und ihn überschwemmte.
    »Aber was ist jetzt? Warum schließt du mich aus, Will? Warum ist auf einmal kein Platz mehr für mich in deinem Leben?«
    »Ich will nicht, dass du dich verpflichtet fühlst«, sagte er schließlich.
    »Aber das tue ich nicht.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. Einen Augenblick stand er wie hypnotisiert, aber als Kaye ihn plötzlich küsste, rutschte ihm das Whiskyglas aus der Hand und zersplitterte auf dem Steinboden. Ernüchtert schob er sie von sich und verließ mit schnellen Schritten das Haus.
    Kaye rannte ihm hinterher. »Will!«, rief sie. »Ich habe dich nicht vergessen, verdammt noch mal.«
    »Was willst du eigentlich von mir?«, schrie er sie an, ohne sich umzudrehen.
    Sie stieß einen verblüfften Laut aus der Kehle. »Was ich von dir will?« Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf die Erde. »Du hast versprochen, mich zu heiraten!«
    Abrupt blieb Will stehen und wandte sich langsam um. Es dämmerte bereits, aber im Licht, das aus den Fenstern des Hauses auf den Vorplatz fiel, konnte er die Enttäuschung in Kayes Gesicht sehen. »Da war ich zwölf«, sagte er, in einem Tonfall, als wären alle Menschen in diesem Alter vollkommen unzurechnungsfähig.
    »Dreizehn!«, verbesserte sie ihn, als wäre das ein himmelweiter Unterschied.
    »Und du hast das all die Jahre für bindend gehalten?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Kaye und machte einen Schritt auf ihn zu.
    Doch Will wich zurück. Seine Stimme klang rau und war ihm selbst fremd. »Manchmal geschehen eben Dinge im Leben, die ein Versprechen ungültig machen«, sagte er leise.
    Mit langen Schritten lief er zur Koppel, schwang sich über den Zaun und saß mit einem Satz auf Ashkiis Rücken. Will flüsterte dem Hengst etwas zu und das Pferd setzte sich in Bewegung. Es funktionierte, er konnte immer noch ohne Sattel

Weitere Kostenlose Bücher