Zweiherz
klapprigen Autos angefahren. Durch das Küchenfenster konnte Kaye sehen, wie die drei Männer einander begrüßten und gestenreich über die anliegende Arbeit diskutierten. Ashie Benally und Hoskie Whitehead würden dafür sorgen, dass Will immer wusste, was er zu tun hatte. Die Weidezäune für die Schafe mussten umgesetzt werden und der neue Stall war auch noch nicht fertig. Ihr Vater hatte den beiden Männern genaue Anweisungen gegeben. Arbeit gab es auf der Ranch zu jeder Jahreszeit genug.
Kaye sah noch, wie Will einen Blick auf das Haus warf, aber dann wandte er sich ab und folgte Ashie und Hoskie in die Scheune. Das war alles ihre Schuld. Sie war zu weit gegangen. Aquilar hatte gesagt, dass Will jemanden brauchte, der keine Erwartungen an ihn hatte. Sie hatte Erwartungen. So viele. Und vermutlich standen sie ihr in Großbuchstaben auf die Stirn geschrieben.
Als Kaye in ihren Jeep stieg, um nach Window Rock zu fahren und ihren Laden zu öffnen, winkten Ashie und Hoskie ihr zu, wie sie es immer taten. Will hob nur kurz den Kopf und wandte sich gleich darauf wieder seinem Zaun zu.
Als sie am späten Nachmittag nach Hause kam, war er nicht mehr da.
Kaye überlegte, ob sie Teena anrufen und der Freundin ihr Herz ausschütten sollte, aber Teena war bestimmt mit Charlie zusammen und hatte andere Sorgen. Kaye beneidete ihre Freundin. Es war sicher nicht einfach, mit Charlie Tsoosie zusammen zu sein, aber wenigstens waren die beiden zusammen .
Als sie auf den hinteren Teil der Veranda trat, stand ihr Webstuhl dort. Sie hatte die Männer gebeten, ihn aus der Garage zu holen, und da stand er nun, voller Spinnweben, und nagte an ihrem schlechten Gewissen.
Am nächsten Morgen teilte ihr Ashie Benally mit, dass er nach Shiprock fahren und neuen Draht und Bretter besorgen müsse. Kaye bat ihn, kurz zu warten, und gab ihm dann einige Säcke roher Wolle mit, die ihr Vater auf ihren Wunsch hin nicht verkauft hatte. In Shiprock gab es eine Wollspinnerei, die solche kleinen Aufträge an einem Tag erledigte: Sie wuschen und reinigten die Wolle, trockneten und versponnen sie.
Als sie am Abend aus Window Rock nach Hause kam, hatte Hoskie auf sie gewartet. »Meine Frau hat morgen in Shiprock zu tun«, sagte er. »Sie bringt dir die Wolle vorbei.«
Kaye gab ihm Geld und bedankte sich. Sie freute sich über die nette Geste. Anderenfalls hätte sie die 90 Meilen extra bis nach Shiprock in die Wollspinnerei fahren müssen.
»Wie macht sich der neue Arbeiter?«, fragte sie beiläufig.
Hoskie Whitehead grinste. »Er arbeitet gut, denkt mit und redet nicht viel. Wo hast du den denn her?« Der ältere Navajo arbeitete erst seit drei Jahren auf der Ranch und wusste nichts über Will Roanhorse.
»Ich kenne ihn von früher«, antwortete sie. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
»Na dann.« Er tippte an seinen schwarzen Hut. »Schönen Feierabend.«
»Dir auch, Hoskie. Und hab vielen Dank.«
Nun hatte sie Wolle und würde sich auf die Suche nach Farbpflanzen machen müssen, wie alle Navajo-Frauen es taten, die auf ihren Webstühlen ihre wunderschönen Teppiche webten. Die Pflanzen zum Einfärben der Wolle wuchsen überall im Hinterland. Sophie hatte Kaye gezeigt, wo die verschiedenen Pflanzen zu finden waren, zu welcher Jahreszeit man sie sammeln musste und wie man aus ihnen den kräftigen Farbextrakt gewann.
Aus didzeh , den Wurzeln der Wildpflaume, wurde der rote Farbstoff gewonnen. Aus Bitterball und dz’ah , die beide außerdem Heilpflanzen waren, ein hellgrüner Farbstoff. Und eine orangerote Farbe bekam man, wenn man die grünen Nadeln von Wachholderbüschen unter Hitze zu Asche zerfallen ließ, mit Wasser vermischte und filtrierte.
Kaye beschloss, gleich am nächsten Tag nach Ladenschluss in die Berge zu fahren und Pflanzen zu sammeln. Die Hoffnung, Will könnte noch da sein, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, hatte sie längst aufgegeben.
Es war eine mondlose Nacht, doch das Licht der Sterne wies ihr den Weg. Zu ihrer Überraschung fand sie ihn am Fuße des Finger Rock. Will hockte am Feuer und sang. Seine wohlklingende Stimme wurde von den Felswänden zurückgeworfen.
Kaye trat näher. Seine verletzenden Worte waren noch in ihren Ohren, und sie fürchtete, er würde sie diesmal zurückweisen. Aber als er sie sah, winkte er sie lächelnd heran. Alles, was er an jenem Abend auf der Ranch zu ihr gesagt hatte, schien vergessen zu sein. Vielleicht hatte er nachgedacht. Vielleicht war ihm endlich klar geworden,
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