Zweiherz
»Weißt du«, sagte er, »Old Man Coyote ist zwar wirklich ein schlimmer Bursche, aber er ist nicht nur böse.«
Will hob den Kopf und sah seinen Großvater fragend an. »Wie meinst du das?« Er setzte sich auf, die Knie angewinkelt und an den Körper gezogen.
»Nun«, begann der Alte, »Kojote zeigt uns, dass man die Welt und auch die Menschen nicht in Gut und Böse einteilen kann. Es gibt so viele Dinge dazwischen. Damals, als die Ordnung der Welt erschaffen wurde, brachte Kojote den Menschen das Feuer. Und er hat darauf bestanden, dass der Tod das Ende des Lebens ist, während die Wissenden Leute dafür waren, die Menschen ewig leben zu lassen.«
»Du findest es gut, dass wir sterben müssen?«, fragte Will.
»Ja, natürlich. Dinge beginnen und enden. Wenn ein Mensch stirbt, kehrt seine Windseele zu Changing Woman zurück.«
»Seine Windseele ?«
»Seine innere Form. Das, was ihn ausgemacht hat.«
» Shoo , ich verstehe.«
»Viele glauben, Kojote wäre nur grausam und böse«, sagte Sam. »Aber er ist auch geistreich und leidenschaftlich. Mit seinen sinnlos scheinenden Taten öffnet er uns Menschen die Augen. Er schafft Unordnung und Disharmonie und wir wollen beides beseitigen. Auf diese Weise zwingt er uns, Entscheidungen zu treffen und auch das Negative im Leben als notwendigen Bestandteil der Schöpfung zu akzeptieren.«
»Aber was ist das für eine Entscheidung, die ich treffen soll?«
»Ob du leben willst - oder dich ausschließen von allem.«
Will senkte den Kopf. »Es geht mir nicht gut, Granpa. Vor fünf Jahren habe ich die Beherrschung verloren und einen Mann getötet - wenn auch ohne Absicht. Mein ganzes Leben ist aus dem Gleichgewicht und mein Körper kann sich kaum noch wehren. Ich habe Angst, Granpa.«
Sam legte seinem Enkelsohn beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte: »Gib nicht auf, mein Junge. Solange du kämpfst, kann der Graue dich nicht besiegen.«
Thomas Totsoni saß in seinem Büro und das Telefon klingelte unaufhörlich. Es war Montagmorgen nach einem freien Wochenende. Jemand war in den Handelsposten von Salina eingebrochen und hatte Zigaretten sowie mehr als fünfzig Videokassetten gestohlen. Er musste einen Officer schicken, um Fingerabdrücke zu nehmen und Spuren zu sichern. Aber dann entschied er sich, die Sache doch lieber selbst in die Hand zu nehmen - falls mehr dahintersteckte.
Nahe Jadito hatte jemand die Weidezäune der Familie Tso gekappt und nun irrten die Schafe im Jadito Canyon umher. Wer immer das auch gewesen war, hatte mit großer Wahrscheinlichkeit keine Spuren hinterlassen. Ganz sicher war die Ursache ein Streit zwischen der Familie Tso und benachbarten Hopi-Clans. Thomas seufzte. Der ewig schwärende Landstreit nahm keine Ende und beschäftigte die Navajo- und Hopi-Polizei nun schon seit dreißig Jahren.
Damals hatte die US-Regierung einen Versuch gestartet und einen Stacheldrahtzaun um das Hopi-Reservat gezogen, das inmitten des Reservats der Navajos lag. Auf einmal befanden sich rund hundert Hopi und mehr als zwölftausend Navajos auf der falschen Seite. So schwelte der Unmut zwischen beiden Völkern bis heute fort, ein Ende der Streitereien war nicht abzusehen.
George Tso war dem Zaun nicht gewichen. Er lebte in seinem Hogan und hielt seine Schafe auf angestammtem Land. Um den gefährdeten Waldbestand zu schützen, hatten Hopiranger eine Verordnung erlassen, die besagte, dass auf Reservatsland kein Holz gesammelt werden durfte. Fanden sie Holz bei Tso, wurde es konfisziert. Auch wenn der alte Mann dann plötzlich im Winter bei minus 20°C ohne Heizmöglichkeit dasaß.
Thomas beschloss, dem alten Mann zwei Männer zu schicken, damit sie ihm halfen, seine Schafe wieder einzusammeln.
Als er nach Officer Mark Redhouse rief, um mit ihm raus zum Handelsposten nach Salina zu fahren, klingelte das Telefon erneut. Erst ignorierte er es einfach und verließ den Raum. Aber gleich darauf besann er sich eines Besseren, kam stirnrunzelnd zurück und nahm den Hörer ab. Was er hörte, war unglaublich. Zwischen Toadlena und Newcomb hatte wieder jemand eine Anasazi-Zeichnung aus dem Fels gesägt.
Pünktlich um acht Uhr erschien Will am Montagmorgen mit Ashkii auf der Ranch. Kaye frühstückte gerade und war ziemlich verblüfft, als sie ihn auftauchen sah. Nach dem, was am gestrigen Abend vorgefallen war, hatte sie befürchtet, ihn nie wiederzusehen.
Als Will den Hengst auf die Koppel brachte, kamen die beiden anderen indianischen Arbeiter mit ihren
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