Zweiherz
ihr Haar wieder zu einem Knoten und steckte es mit den Silbernadeln fest. Draußen ließen sie Großvater Sam wissen, dass sie nun gemeinsam nach Window Rock fahren wollten, um der Polizei alles zu erzählen, was sie wussten.
21. Kapitel
V or dem Hauptgebäude der Navajo-Stammespolizei in Window Rock herrschte große Aufregung. Zwei Streifenwagen von der Shiprock Polizei Station in New Mexico standen auf dem asphaltierten Parkplatz und eine Menge uniformierter Männer redeten wild durcheinander.
Thomas Totsoni kam durch die Glastür des Haupteinganges, und als er Kaye und Will entdeckte, weiteten sich seine Augen vor Schreck. Er legte kurz seinen Zeigefinger auf die Lippen und deutete hinüber zum Fuße eines großen hellroten Sandsteinkegels, der gegenüber der Window Rock Ridge aufragte.
Gehorsam unauffällig schlenderten sie zum Felsen und hockten sich in den Schatten einer Ölweide. Es war warm geworden. Bald würde es wieder unerträglich heiß sein und nichts mehr würde an die kühle Nacht und die vogeleiergroßen Hagelkörner erinnern. Nur in Wills und Kayes Gedächtnis würde diese Nacht für immer einen besonderen Platz haben.
Nachdem Thomas lange mit einem weißen Mann im dunkelblauen Anzug geredet hatte, kam er zu ihnen herüber. Kaye sah ihrem Onkel an, dass er durcheinander war. Aber er hatte nicht viel Zeit und deshalb musste der Lieutenant auf das übliche Drumherumreden verzichten.
»Heute Morgen wurde der von euch beschriebene schwarze Jeep Wrangler in einer Schlucht zwischen Red Rock und Shiprock gefunden«, sagte er. »Ich weiß noch nicht viel, nur dass der Wagen ausgebrannt ist und drinnen die verkohlte Leiche eines Mannes sitzt. Drei Steinplatten mit Felszeichnungen wurden beim Absturz aus dem Wagen geschleudert und zwei sind dabei zerstört worden. Im Wagen fand man außerdem ein großkalibriges Jagdgewehr. Es ist möglich, dass aus ihm die Kugel stammt, die Northridge getötet hat.«
»Hóyéé« , sagte Will und verzog das Gesicht. »Grässlich.«
Obwohl es ohne Frage grässlich war, was der Onkel ihnen da schilderte, atmete Kaye erleichtert auf. Auf dem Weg hierher war sie nicht sicher gewesen, was sie und Will erwartete - was sie noch durchstehen mussten, bevor sich alles aufklären würde. Aber nun war Will auf einmal von allen Verdächtigungen befreit. Nicht dass sie wirklich an ihm gezweifelt hätte, aber es war navajo , wenn die Dinge von selbst wieder in Ordnung kamen.
Thomas legte Kaye eine Hand auf die Schulter. »Ich muss jetzt los, das FBI wartet nicht gerne. Fahrt zurück auf die Ranch und redet mit niemandem über das, was ich euch erzählt habe. Wartet dort auf mich, ich komme, so schnell ich kann. Ein paar Fragen hätte ich nämlich noch.«
Kaye wusste zwar nicht, was diese Andeutung sollte, jetzt da alles klar war, aber sie konnte ihren Onkel auch nicht mehr danach fragen, denn er war schon verschwunden.
Sie fuhren hinunter in den Ort, und Kaye hängte ein Schild in ihren Laden, auf dem stand, dass in der nächsten Woche wegen Urlaub geschlossen bleiben würde. Danach fuhren sie zurück zur Ranch.
Ashie Benally und Hoskie Whitehead hatten damit zu tun, die Schäden zu reparieren, die Sturm und Hagel am unfertigen Stalldach angerichtet hatten.
»Ich werde den beiden helfen«, sagte Will. »Zu dritt geht es schneller.«
Kaye nickte. Sie gab ihm ein paar Arbeitssachen ihres Vaters, und er kletterte zu den Männern aufs Blechdach, um mit anzufassen.
Kaye belegte sich ein Sandwich mit kaltem Truthahnfleisch und setzte sich auf die Couch. Als sie den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte, war sie eingeschlafen.
»He, du Schlafmütze!« Will rüttelte Kaye sanft am Arm. »Wach auf! Ich habe einen Mordshunger.«
Verschlafen blinzelte sie ihn an. »Was?«
»Es ist schon Nachmittag, ich falle bald um vor Hunger.« Er sah müde aus und Kaye schämte sich.
In Windeseile zauberte sie ein Mittagessen aus den Zutaten, die sie noch im Kühlschrank fand, und Will aß zufrieden. Zum Nachtisch gab es Wassermelone, deren Inneres rot, süß und saftig war. Danach wollte er wieder an die Arbeit gehen, aber Kaye hielt ihn zurück. Es gab so viel zu erzählen, so viel nachzuholen, und sie wollte gleich damit anfangen. Will gab sich geschlagen, zumal ihn nach dem guten Essen eine schwere Müdigkeit überfiel.
Zusammen sahen sie sich alte Fotos an und kramten in Erinnerungen.
»Wer war eigentlich der Knabe, den du neulich so königlich bekocht hast?«, fragte Will
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