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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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geschärft hatten. Der Schacht hatte glatte Wände aus Beton, die sicher zehn Meter abfielen. Er mochte früher ein Keller gewesen sein. Jetzt war er gespickt mit Klingen, ein Eisenmaul, das darauf wartete, jeden zu verschlingen, der hineinfiel.
    Ivy hing wimmernd und zappelnd über den Klingen, und bei jeder Bewegung ruckte es in seinen Gelenken. »Halt still«, presste er hervor. Ihre Augen waren riesengroß, Angst irrlichterte darin. Und ihre Hand ist fieberheiß .
    Bei einem flüchtigen Blick auf ihr Handgelenk fiel der Groschen endgültig. Sie irren sich immer in den Details. Keine Glasperlen.
    »Madison!«, stieß er hervor. Schlagartig hielt sie still. Fassungslosigkeit huschte über ihre Miene, dann Begreifen – und dann Entsetzen. Sie verdrehte die Augen und schielte über die Schulter zu den Klingen. »Nein!« Sie begann wieder zu strampeln wie ein Tier in der Falle. Als würde es sie zu viel Kraft kosten, ihm Ivys Gestalt vorzuspiegeln, wurde ihr Haar dunkel und länger, die helle Haut verwandelte sich in Madisons Bronzeteint. Sie trug die blaue Regenjacke mit Kapuze und Jeans.
    Bei jeder heftigen Bewegung zog es ihn Stück für Stück näher den abschüssigen Hang hinunter in Richtung Abgrund. Lass ihre Hand los , befahl ihm die Stimme des nackten Überlebens. Aber stattdessen packte er instinktiv noch fester zu.
    »Er bringt mich um!« Ihr Hilfeschrei gellte in seinen Ohren.
    Verdammt, lass sie los! Sie ruft die anderen! Du bist der Nächste, der in der Falle landet. Wenn Matt dich nicht vorher in mikroskopisch kleine Fetzen schreddert.
    Aber es war immer noch dieselbe Madison, die mit ihm zusammen auf dem Dach Sonne und Mond betrachtet hatte. Die Madison, mit der er gelacht und die er geküsst hatte.
    »Hör auf zu zappeln und halt die Klappe!«, fuhr er sie an. Sie erstarrte, atemlos vor Angst. Sie war nicht schwer, aber der Winkel, in dem er auf der Erde lag, machte es schwierig, und die Narbe schmerzte.
    Er rang nach Luft, dann zog er Stück für Stück das linke Knie in Richtung Brust, um eine Stütze zu haben. Seine Muskeln zitterten vor Anstrengung, während er sie Stück für Stück nach oben zog. Kaum konnte Madison den Rand erreichen, packte sie mit der freien Hand zu und es wurde einfacher. Keuchend kämpfte sie sich weiter, während er sich nach hinten lehnte und sie endlich über den Rand ziehen konnte. Sie fielen zurück und lagen Brust an Brust da, erschöpft, nach Luft ringend und noch immer zitternd vor Schreck und Anstrengung. Für einen Moment sahen sie sich in die Augen. Und in dieser Sekunde, in der sie einfach nur erleichtert waren, der Falle entkommen zu sein, geschah etwas Seltsames. Es war nur die schwebende Ahnung eines Lächelns zwischen ihnen und doch brachte sie alles mit einem Herzschlag wieder zurück – die Nacht im Park, das grüne Feuer und das Lachen, das sie beide geteilt hatten.
    »Wer bist du wirklich?«, flüsterte er.
    Ihr Lächeln verschwand, sie machte sich mit einem Schrei von ihm los und kroch rückwärts auf allen vieren von ihm weg. Die Art, wie sie sich duckte und verharrte, erinnerte ihn an irgendetwas, aber er fand kein Bild dazu.
    »Warum das alles, Madison?«, brachte er mühsam heraus.
    Sie schluckte, in ihrem Gesicht stritten Verzweiflung und Angst.
    »Sie ist tot!«, stieß sie mit zitternder Stimme hervor.
    Er hatte es erwartet und dennoch traf die Nachricht ihn. »Jenna«, sagte er leise. »Ich hatte gehofft, er hätte sie nicht getötet. Es tut mir so leid, ich wollte das nicht.«
    Ein Schuss ertönte ganz in der Nähe. Der Ausdruck, der jetzt über Madisons Gesicht huschte, machte ihm Angst. Ihre Augen wurden schwarz. »Lügner! Du hast mich betrogen. Du hasst mich und willst mich töten!«
    »Und deshalb ziehe ich dich aus der Falle, ja? Ich hasse dich nicht, Madison!« Aber sie sah ihn nicht an, sie starrte auf den Boden neben ihm. Dort lag die Pistole. Als er nach der Waffe griff, erstarrte sie – und sah dann mit offenem Mund zu, wie er die Pistole in die Falle warf. Es klirrte, als sie auf einen Säbel traf. »Ich hasse dich nicht«, wiederholte er. »Und du … hasst mich auch nicht.«
    Sie schrak zurück, als hätte er die Hand nach ihr ausgestreckt. Ihre Augen wurden schmal, eine Träne löste sich und rann über ihre Wange. Verwirrt runzelte sie die Stirn und schien mit einer Antwort zu ringen, dann flatterte in der Nähe ein Vogel erschrocken auf. Der gläserne Moment der Nähe zerbrach. »Lauf, wenn du kannst«, flüsterte sie.

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