Zweilicht
sich fast die Finger, als er sich gegen sie warf und den Flügel aufdrückte. Er fiel mehr, als er in die Halle rannte – und prallte gegen Beren. »Sie sind hier!«, stieß er hervor – um dann zu erkennen, dass die anderen längst ahnten, woher der Lärm gekommen war. Und Beren war offenbar auf dem Weg zu ihm gewesen. Die Gruppe war in hektischer Bewegung. Zwei Gewehre waren auf die Tür gerichtet, Jack und Mika stürmten mit einem Balken auf die Tür zu. Holz krachte gegen Holz, als die Männer die Tür verbarrikadierten. Jay suchte nach Ivy und war unendlich erleichtert, als sie durch eine Seitentür hereinstürzte. Offenbar hatte sie einen Umweg genommen.
»Los, los, los!« Columbus winkte sie zu sich her. Die Schwestern löschten die Lichter. Das Letzte, was Jay sah, bevor die Kerzenflamme am Fuß des Dinosauriers erlosch, war das sanfte Gesicht von Dornröschen, die in ihrem Sarkophag schlief, nicht ahnend, dass sie gerade im Stich gelassen wurde. Dann flackerte nur noch Fayes Gesicht im Licht eines kleinen Windlichts – ein Kerzenstummel in einem hohen Glas.
»Bleib dicht bei Faye«, befahl Columbus.
»Und Dornröschen? Wir lassen sie doch nicht hier!«
»Los, lauf!« Mika versetzte ihm einen harten Stoß. »Wir haben keine Zeit.«
Schläge erschütterten die Tür, das Kantholz bebte und ruckte. Jeder Schlag brachte Jays Herz aus dem Takt. Verdammt, Mika hat recht. Wir können uns nur selbst retten . Und dennoch trugen ihn seine Beine ganz von selbst zum Sarkophag.
»Was machst du?« Faye rannte ihm hinterher, packte ihn an der Schulter, als er schon den Sarkophagdeckel ergriff. Jay schüttelte ihre Hand grob ab. »Ich verstecke sie!« Mit einem Ruck wuchtete er den Deckel hoch und verbarg die schlafende Frau. Denn zerrte er auch noch eine Decke darüber. Die anderen rannten bereits – aber nicht, wie er gedacht hatte, in Richtung Hauptausgang, sondern ins Innere des Museums. Jay schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Matt und Linda die Schlafende nicht entdecken würden, dann folgte er Faye. Gerade als sie die anderen erreichten, erzitterte der Balken vor der Tür noch einmal unter einem wuchtigen Schlag und gab nach. Mika und Beren schlossen die nächste Tür und verrammelten sie. Dumpf klang ein Poltern und Prasseln durch das Holz. Es hörte sich an, als würde jemand ein gigantisches Dominospiel auf dem Marmorboden ausleeren, und Jay stellte sich mit einem Schaudern vor, dass mindestens eines der Dinosaurierskelette Matts Wucht nicht standgehalten hatte.
Schritte hallten wie Getrommel in seinen Ohren, als sie alle in den nächsten Raum liefen, an einem ausgestopften Bären und anderen Tieren der nordamerikanischen Fauna vorbei. Es war falsch, Dornröschen zurückzulassen , hallte es immer und immer wieder in seinem Kopf. Aber ebenso falsch schien es, zu sterben. Zum ersten Mal begriff er, welche Entscheidungen die Menschen seiner neuen Zeit treffen mussten, Tag für Tag. Keine Zeit zum Überlegen, keine Kompromisse, keine Graustufen. Nur Schwarz oder Weiß, Leben oder Sterben. Du oder ich. Beren lief neben ihm, konzentriert und grimmig, ohne sich umzusehen. Im Laufen zog er einen Beutel aus seiner Jacke und riss das Lederband, das ihn zusammenhielt, mit den Zähnen ab.
Schemenhaft flogen indianische Kultgegenstände an ihnen vorbei, während sie flüchteten, dann erreichten sie eine Galerie – und endlich den Ausgang an der West 77th Street.
In dem Moment, als hinter ihnen krachend die nächste Tür barst, flohen sie ins Freie. Funken glühten auf, es zischte, dann warf Beren den Beutel vor die Tür. Er explodierte in einem Flammenball und setzte sofort ein paar Bündel trockener Sträucher in Brand, die, wie Jay nun verstand, eigens für diesen Fall dort aufgeschichtet worden waren.
»Hier«, zischte ihm Faye zu und drückte ihm eine Pistole in die Hand. »Wir müssen zum Fluss. Schieß auf jedes Tier, das du siehst! Columbus hat es dir ja gezeigt.«
»Wo ist Ivy?«
»Sie kommt nach, sie lenkt sie ab und führt sie in die Irre. Komm!«
»Und die anderen?«
Faye schüttelte ungeduldig den Kopf. »Jeder von uns nimmt einen anderen Weg. Kleineres Risiko, dass sie alle erwischen. Na los!«
Schüsse ertönten und ein Gebrüll, das Jay nur aus Monsterfilmen kannte. Und dann kam aus Dutzenden von Kehlen Gejaul und das kurze, schrille Bellen von Kojoten. Sie rufen die Raubtiere zu Hilfe , sie machen eine Treibjagd auf uns .
Er packte die Pistole fester und folgte Faye.
Sie lief
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