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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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komisch, was Jungs angeht. Und das könnte schwierig für uns werden.«
    Für uns. Ein Funke von Glück stieg in seiner Brust auf.
    »Gut. Und wie geht es weiter? Was sagen deine Dating-Regeln?«
    Sie legte den Kopf schief und sah nachdenklich zu ihm hoch. »Tja, wenn das ein Date gewesen wäre, würden wir uns jetzt zum Abschied küssen.«
    Und wahrscheinlich wäre es das Dümmste, was ich jetzt machen könnte. Weil es jeder andere an meiner Stelle auch versuchen würde. Trotzdem kostete es ihn einiges, der Einladung zu widerstehen.
    »Verstehe«, antwortete er. »Aber da es keines war, sondern nur ein zufälliger Besuch, tun wir morgen beide so, als hätten wir nichts miteinander?«
    »Das heißt aber nicht, dass du mit Sally flirten darfst.«
    »Gut, ich lasse ausnahmsweise die Finger von ihr.«
    Immerhin zauberte sein betont ironischer Tonfall wieder ein Lächeln auf ihre Züge. Sie ließ seine Hand los. Seltsamerweise war er nicht enttäuscht. Es fühlte sich richtig an. Wie ein Musikstück, in dem jede Note am richtigen Platz war. Er vergrub die Hände in den Taschen seiner Jacke und ging mit großen Schritten die Straße zurück.
    »Jay?« Als er sich umdrehte, stand sie immer noch an derselben Stelle. »Danke für den Himmel«, sagte sie leise. Dann ging auch sie und sah sich nicht mehr um.
    *
    Als hätte Madison die Sonne mitgenommen, ballten sich wieder schwere anthrazitfarbene Wolken über Williamsburg und ließen das Licht düster und ein wenig bläulich wirken. Zwei Straßen weiter brach ein wüster Platzregen los. An jedem anderen Tag hätte Jay sich fluchend irgendwo untergestellt. Aber heute war alles anders. Er fror nicht im kalten Regen, obwohl er nach wenigen Sekunden völlig durchnässt war. Und er war noch so trunken von Madisons Nähe und der Wärme ihrer Hand, dass er die Bewegung am Ende der Straße fast übersehen hätte. Helles Fell.
    »Feathers!« Er sah gerade noch, wie der Hund hinter der nächsten Ecke verschwand, und nahm die Verfolgung auf. Vermutlich lief der Hund ohnehin nach Hause, also sprintete er in Richtung der dritten Straße. An einer Ecke hätte er beinahe die Holländerin umgerissen. Mit einem entsetzten Schrei und raschelnden Zeitungen sprang sie gerade noch rechtzeitig zur Seite.
    »Sorry!«, rief er über die Schulter zurück. Dann trug der Schwung ihn schon in seine Straße. Er sprang über ein Aststück und sah sich um.
    Der Hund stand mitten auf der Straße, im strömenden Regen.
    Jay pfiff nach ihm. Normalerweise müsste der Hund jetzt auf ihn zustürmen und versuchen, ihn umzuwerfen, aber heute starrte er ihn nur misstrauisch an. Jay rief ihn noch einmal. Der Hund drehte sich um und fegte davon – an Onkel Matts Werkstatt vorbei – und flitzte um die Ecke.
    »Was ist denn mit dir los?«, murmelte Jay.
    Er entdeckte den Hund ein wenig später in einer Seitenstraße, in einem Vorgarten, dessen Zaun weggebrochen war.
    Doch als Jay auf ihn zukam, sträubte er sein Rückenfell und … knurrte drohend! Einen bangen Augenblick lang war er sicher, dass der Hund ihn anspringen würde. Das kann nicht sein – es ist Feathers! Und gleichzeitig flüsterte ihm seine vernünftige, sachliche Stimme zu, Feathers nicht länger frontal anzustarren, weil er das sicher als Drohgebärde auffassen würde.
    Also zwang er sich, wegzuschauen, und wandte sich leicht zur Seite. Das Knurren hörte auf. Im selben Augenblick regte sich etwas in einer Fichte rechts neben ihn. Er brauchte zwei lange Sekunden, um zu begreifen, dass er tatsächlich eine … Speerspitze sah. Nein, es war eine Messerklinge, die mit Draht und Plastik an einem Stock befestigt war. Und sie zielte direkt auf seinen Hund!
    »He!«, brüllte er. »Runter mit der Waffe! Spinnst du?«
    Er wusste nicht einmal, wen er da anbrüllte, aber der Speer zog sich auf der Stelle zurück. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Feathers die Flucht ergriff.
    Blätter raschelten, ein Zweig bewegte sich.
    Und dann schien die Zeit zu verrutschen.
    In der buschigen Fichte, in etwa zwei Meter Höhe, kauerte jemand. Viel erkannte er im Schatten der dichten Zweige nicht, aber immerhin sah er, dass es ein Mädchen war. Ihr Mund war vor Verblüffung geöffnet. Sie starrte ihn so fassungslos an, als würde sie ein Gespenst vor sich sehen. Jay blickte in dunkelbraune Augen mit einem harten, hellwachen Ausdruck. Das kurze, glatte Haar, so hell wie Feathers’ Fell, bildete dazu einen auffallenden Kontrast.
    Sie fing sich als Erste wieder, machte den

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