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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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Mund zu und schluckte. Dann beugte sie sich vor. »He!« Sie flüsterte so leise, als wollte sie verhindern, dass jemand anderes sie hörte. »Kannst du mich … etwa sehen?«
    Welcher Slang ist das denn? , dachte Jay. Es war zwar Englisch, aber sie sprach die Worte in einer Weise aus, die sie fremd klingen ließen. Melodischer, aber auch schärfer. »Siehst du mich?«, wiederholte sie eindringlich. Jay nickte wie in Trance. »Klar.«
    Sie überraschte ihn mit einem strahlenden, fassungslosen Lächeln, das ihr etwas Diebisch-Hübsches verlieh. Pixie , fuhr es ihm durch den Kopf. Sie hatte tatsächlich etwas von einer Elfe. Allerdings nicht die von der überirdisch schönen Sorte. Eher die Art Elfe, die mit Menschen böse Spiele trieben wie in einem der irischen Märchen.
    Sie streckte die Hand nach ihm aus, als wollte sie ihn berühren. Es war eine flinke Bewegung, genau bemessen. Zielgerichtet , war alles, was ihm dazu einfiel. Räuber und Beute.
    Reflexartig zuckte er zurück – stieß gegen etwas und kam ins Stolpern. Jemand packte ihn am Arm und bewahrte ihn davor, zu stürzen. Seine Stirn schrappte über den Reißverschluss einer Lederjacke, dann hatte er sich wieder gefangen.
    »Langsam, Mann«, sagte Aidan. »Wo willst du denn hin?«
    Jay blickte gehetzt über die Schulter. Das Mädchen war fort. Er riss sich von Aidan los und rannte über den Rasen und um das Haus herum. Keine Spur mehr von ihr. Es war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    »Was ist denn los?«, rief Aidan von der Straße. »Erst galoppierst du wie ein Gestörter an der Werkstatt vorbei und jetzt robbst du durch fremde Gärten.«
    Jay stapfte durch matschiges Gras zu ihm zurück.
    »Hast du sie gesehen?«
    »Wen?«
    »Ein Mädchen. Sie saß da oben im Strauch. Sie hatte einen selbstgebastelten Speer und hat damit auf Feathers gezielt.«
    Aidan runzelte die Stirn. »Sie saß da oben im Strauch«, wiederholte er lakonisch. »Mit einem Speer. Alles klar.« Er schüttelte den Kopf. »Du hast einen Schuss, Jay.«
    »Idiot«, zischte Jay. »Sie war da!«
    »Ist ja gut, beruhige dich.«
    »Du glaubst mir nicht.«
    Aidan zuckte mit den Schultern. »Das habe ich nicht gesagt. In New York ist alles möglich. Gewöhn dich dran, hier rennen eine Menge Spinner herum.«
    Zu seiner Überraschung klopfte ihm sein Cousin versöhnlich auf die Schulter.
    »Komm. Matt wartet auf uns.«
    »Was ist mit Feathers?«
    »Der findet schon nach Hause.«
    »Machst du dir gar keine Sorgen?«
    »Warum?«
    »Er hat sich komisch benommen. Als würde er mich nicht mehr kennen. Er hat mich sogar angeknurrt.«
    Aidan lachte. »Das macht er immer, wenn er durch den Wind ist. Er hat nur den Gewitterkoller. Nach dem letzten Sturm war er eine Woche weg. Du wirst sehen, in ein paar Tagen ist er wieder ganz der Alte.«

neues spiel
    d ie Schule hatte beim Sturm deutlich mehr gelitten als die Häuser in Jays Straße. Schon von Weitem konnte Jay den Bagger sehen, der auf dem, was am Freitag noch ein asphaltierter Schulhof gewesen war, Schutt und Trümmer zusammenschob. Zerbrochene Schultische ragten daraus hervor und eine Reihe verbogener Spinde. Der Zaun war an mehreren Stellen umgeknickt und auch die Plattenverkleidung des neuen Traktes hatte dem Wind nicht standgehalten. Den größten Schaden hatten jedoch ein Baugerüst und ein Kran angerichtet, die umgestürzt waren und eine Seitenmauer, Oberlichter und ein Stück Dach zertrümmert hatten. Seltsamerweise fiel der Unterricht trotzdem nicht aus. Kurzerhand wurde improvisiert, einige Kurse fanden im »Common« statt, selbst auf den Treppen und in den Fluren hockten die Schüler auf Kisten und zusammengelegten Jacken. Jay fand sich mit den anderen Elftklässlern aus seinem Biologiekurs zusammengepfercht in einem winzigen Raum im alten Trakt wieder. Mr Millar, ein kleiner, gedrungener Mann mit Halbglatze, versuchte das Beste aus der Situation zu machen, allerdings hatte er sich ein eigenartiges Thema dafür ausgesucht. Ohne die Schüler zu begrüßen, knallte er eine Kiste, aus der Staub aufstieg, auf den Tisch und holte eine Handvoll Federn daraus hervor. Dann begann er einen etwas wirren Vortrag über Falken und Bussarde zu halten und verlor sich schließlich in einem langen Monolog über die Fähigkeit der Schneeeule, den Herzschlag einer Maus sogar unter einer dichten Schneedecke zu erlauschen.
    »Ich dachte, sein Kursthema in diesem Jahr ist Genetik?«, flüsterte Jay seinem Nebensitzer zu. Doch der zuckte nur die Schultern.

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