Zweilicht
Neunzig Kilo Masse bremsten seinen Sturmlauf. Jay keuchte auf, als eine Faust ihn mitten in die Rippen traf. Für einen Moment wollte er einfach nur im Reflex zurückschlagen, als ein Bild aufblitzte. Ein Déjà-vu, so unangenehm wie eiskalte Schmutzbrühe, die ihm jemand ohne Vorwarnung in den Kragen schüttete. Wie in einer Blitzlichtaufnahme sah er Charlies Gesicht vor sich. »Du taugst einfach nichts«, zischte seine Mutter ihm zu. »Genau wie dein Vater!«
Er lockerte seine bereits zur Faust geballte Hand und versuchte Pete stattdessen auszuweichen. Die Quittung kam in Form eines Rammstoßes mit der Schulter gegen seine Hüfte, der ihn aushebelte. Kalter Schlamm tränkte sein Sweatshirt. Und zu allem Überfluss entdeckte er Madison am Rand des Feldes. Mist. Jetzt konnte sie zusehen, wie Pete & Co ihn wie einen Verlierer in den Boden stampften. Und als ob es nicht schlimmer kommen könnte, stand neben ihr Jenna mit einem schadenfrohen Grinsen.
»Mann, warum kämpfst du nicht?«, schnauzte Alex ihn an. Jay erkannte den smarten Teamchef aus der Schule kaum wieder. Er fletschte vor Wut die Zähne, während die Gegenmannschaft den Punkt bejubelte.
»Weil das ein Foul wäre!«, brüllte Jay zurück. »So spiele ich nicht – ich bin kein Schläger, verstanden?«
»Dann wirst du wohl heute verlieren.«
Als Jay sich mühsam wieder aufrappelte, buhte das Publikum ihn aus. Jetzt kam die Wut so jäh, dass er den Schmerz völlig vergaß. Neuer Anpfiff, der Ball wurde wieder ins Spielfeld geworfen.
»Jay, hol ihn dir!«, rief Madison ihm zu.
Das machte es nur noch schlimmer. Für einen irrealen Moment glaubte er, beide Stimmen zu hören, die sich überlagerten: Madison, die ihn anfeuerte – und Charlie, die ihm einflüsterte, dass er genauso war wie sein Vater, wenn er seine Kraft spielen ließ. Du taugst nichts .
Alex stoppte neben ihm.
»Was ist los mit dir?«, fuhr er Jay an. »Wenn du nicht mitspielen willst, geh heim zu deiner Mom , aber lauf den anderen nicht vor den Füßen herum, klar?«
Das saß. Er hätte sich umdrehen und gehen sollen. Er konnte beinahe hören, wie Charlie ihm einen Vortrag hielt: Steh auf und geh. Nur ein dummer, hirnloser Idiot lässt sich provozieren . Aber es gab noch eine andere Stimme. Seine eigene, auch wenn er sie kaum hörte: Und was hätte Zweiherz getan? Darüber musste er gar nicht nachdenken, er spürte die Antwort. Adrenalin flutete seinen Körper und ließ ihn alles gestochen scharf wahrnehmen. Wenn schon nicht der Stärkere, dann der Schnellere . Und ich hole wenigstens einen verdammten Punkt! Er sprang auf, lief los und fischte den Ball aus der Luft. Pete und zwei andere Spieler schossen wieder auf ihn zu.
Als Pete ihm ein Bein stellte und nach dem Ball griff, brachte Jay ihn mit einem Kampfsportgriff zu Fall. Die Zuschauer kreischten auf. Er raste über das Feld, drängte die anderen ab, wich Schlägen aus und erreichte die Linie. Alex riss die Fäuste hoch und brüllte vor Triumph.
Plötzlich war es ganz leicht, alles andere von sich zu schieben. Jennas kritische Blicke, Charlies vorwurfsvolle Miene, und sogar seinen Fäuste schwingenden, kämpferischen Vater. Da war nur noch Madison, die ihm zulachte und ihn aus voller Kehle begeistert anfeuerte. Es geschah etwas. Jetzt, als er sich darauf einließ, wurde es unmerklich mehr und mehr zu seinem Spiel. Wenn er antäuschte und Ausfallschritte machte, war Pete völlig überfordert und die anderen schlicht zu langsam. Fast wie mit Feathers Ball zu spielen , dachte er und hätte beinahe gegrinst. Er zählte nicht mehr die Punkte, alles begann zu fließen. Inzwischen war es dämmrig geworden. Obwohl es Lampen am Spielfeldrand gab, schaltete sie niemand ein. Es war gespenstisch, im Halbdunkel weiterzuspielen, aber gleichzeitig wurde es noch spielerischer, leichter. Sogar Petes grimmige Miene hellte sich auf. Und dann pfiff keiner mehr, es ging nur noch darum, sich gegenseitig den Ball abzujagen. Die Mannschaften verschmolzen, bis es nur noch eine einzige große Gruppe voller Einzelkämpfer und wechselnder Zweierteams war. »Klasse, Mann!«, schrie Alex, als Jay nach einem Hechtsprung den Ball an die Brust drückte und sich abrollte, um den Schwung zum Hochkommen zu nutzen. Niemand pfiff ab. Erst als die Spieler träge wurden und die Lust verloren, versandete das Spiel langsam. Irgendwann blieb der Ball liegen und keiner hob ihn auf. Die Spieler holten ihre Taschen und Rucksäcke vom Spielfeldrand und begannen sich zu
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