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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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…«
    Abwehrend hob sie die Hand. »Ist schon gut!« Ihre Stimme zitterte und dennoch versuchte sie, Haltung zu bewahren. »Vielleicht hast du ja recht«, sagte sie dann sehr gefasst. »Wir kennen uns ja wirklich kaum. Na ja, kein Wunder, wir sehen uns ja fast nur, wenn jemand dabei ist. Wir müssen mehr Zeit für uns haben, Jay. Nur du und ich. Und das werden wir. Versprochen!«

karten aus der vergangenheit
    i n der geräumigen Kammer tief unten in den Eingeweiden des alten Museums sah Ivy den Mond natürlich nicht, aber dennoch wusste sie, dass er höhnisch auf sie herabblickte. Ihm fehlte nur noch ein Hauch mehr Weiß und er würde voll und mächtig sein. In den Schatten glaubte sie sogar sein spöttisches Flüstern zu hören: Morgen verlierst du ihn für immer.
    »Das werden wir noch sehen«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Hektisch wischte sie sich mit dem Ärmel über die Stirn und suchte weiter. Kiste um Kiste stieß sie auf und zerrte alles heraus, was sie darin fand: Stoffe und Jacken, Kerzen und Seile, außerdem Haufen von zusammengebundenen Schuhen, die Faye in irgendwelchen Kellern und Lagern aufgestöbert hatte. Sie war so vertieft in ihre fieberhafte Suche, dass sie mit einem Aufschrei herumfuhr, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
    Faye betrachtete besorgt das Chaos. »Der Alte bringt dich um, wenn er sieht, dass du seine Sachen durchwühlst.«
    »Ich kann nicht warten. Ich muss wieder zurück, zu Jay.«
    »Jetzt? Mitten in der Nacht?«
    »Ich darf keine Zeit mehr verlieren. Morgen Nacht ist Vollmond.«
    Sie wünschte, Faye würde ihr Mitleid besser verbergen. Der stumme Blick ihrer Schwester brachte ihr mit grausamer Deutlichkeit wieder zu Bewusstsein, wie hoffnungslos die Lage war. Und als würde das noch nicht genügen, setzte Faye mit sanfter Stimme hinzu: »Es ist doch längst zu spät. Du hast es versucht, Ivy. Aber nicht einmal die Vergangenheit konnte ihn zu dir locken.« Und etwas leiser fügte sie hinzu: »Es ist nicht deine Schuld.«
    Ivy schossen die Tränen in die Augen. Der Schmerz in ihrer Brust pochte wie ein alter Bekannter, der schon viel zu lange vor der Tür stand und Einlass begehrte. Aber sie ließ ihn auch heute nicht herein. Sie schniefte und schüttelte trotzig den Kopf. »Das heißt nur, dass Robins Name nicht genügt hat, um ihn zu uns zu holen.«
    »Ivy«, sagte Faye mit dieser unerträglichen Sanftheit, für die sie ihre Schwester am liebsten geschlagen hätte. »Er wird dich doch nicht einmal sehen. Er sieht nur Madison.«
    »Er wird mich nicht übersehen können. Dafür sorge ich.«
    Und endlich, endlich stießen ihre Finger gegen kaltes Metall. Ihr Schluchzen wurde zu einem triumphierenden Lachen. Rasch öffnete sie ihren Beutel. Faye riss die Augen auf und schlug entsetzt die Hände vor den Mund.
    »Ivy, nein!«, hauchte sie. »Was hast du vor?«
    »Wonach sieht es denn aus? Heute wird er mich nicht abweisen.«
    Sie sprang auf und schnallte den Beutel mit zwei schnellen Griffen an ihrem Brustgurt fest. Ivy wusste, dass ihre Schwester nicht wagen würde, sie abzuhalten, trotzdem wich sie rasch zur Tür zurück für den Fall, dass sie ihr entwischen musste.
    »Vertrau mir doch, Faye. Ich weiß genau, was ich tue. Ich bin der Trickster, schon vergessen?«
    Aber heute ließ Faye sich nicht zu einem Lächeln verführen. In ihrem hellen Wolkenkleid wirkte sie stolz und streng wie eine dieser alten Königinnen auf den Bildern längst vergangener Zeiten. »Ich weiß, warum du das tust«, sagte sie mit schneidend klarer Stimme. »Aber es wird nicht helfen. Die Toten werden niemals wieder lebendig.«
    *
    Ein schriller Vogelruf weckte ihn so abrupt, als wäre er aus dem Zimmer des Schlafes einfach über die Schwelle in das Wachsein getreten. Schemenhaft kehrte die Erinnerung an gestern Abend zurück. Das Gespräch mit Madison, der flüchtige Abschied vor dem Haus ihrer Tante, Matt, der kurzerhand das Sofa aus dem Wohnzimmer vor den Ofen geschoben hatte – und Aidan, der eine Riesenshow machte, indem er den Neandertaler mimte und immer wieder »Firefighter Jay! Er kann Feuer machen!« brüllte.
    Er öffnete die Augen und sah … Wolken. Sie waren silbern umrandet vom Licht des Monds, der ihn wie ein fast schon rundes Auge zu betrachten schien. Bin ich im Garten? Eher verwundert als erschrocken hob er eine Hand vor das Gesicht und beobachtete, wie eine schnell dahinziehende Wolke zwischen Zeigefinger und Daumen tauchte und hinter seiner Hand

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