Zweilicht
herumzukriegen.
»Ich haben den Anhänger … verloren. Im Park.«
Nun, die ganze Wahrheit war das auch nicht. Aber was sollte er sagen? Dass ein anderes Mädchen ihm die Kette gestohlen hatte? Ein Mädchen, das aus einer Welt mit goldenem Licht stammte?
»Jay?« Mit gerunzelter Stirn sah sie ihn an. »Ist was?«
»Warum?«
Sie zog die Hände zurück, als hätte sie sich an seiner Haut verbrannt, und verschränkte die Arme. Ein misstrauischer Zug huschte über ihre Miene. »Du wirkst so anders. So kühl. Woran denkst du? Freust du dich überhaupt nicht, mich zu sehen?«
»Doch! Natürlich. Ich bin heute nur etwas durcheinander.« Zumindest das war die reine Wahrheit.
*
Die Tür zum Garten stand weit offen. Linda war noch einmal zu ihrem Haus zurückgegangen. Aidan versuchte immer noch, im spärlichen Licht einiger Taschenlampen den Grill zu reparieren.
Madison sah sich in der Küche um. Und Jay fühlte sich plötzlich unbehaglich. Es war so, als hätte die Begegnung mit Ivy seinen Blick auf merkwürdige Art verändert. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie schäbig und düster die Küche wirkte, wie alt das Geschirr war und wie feucht es hier roch. Hundehaare ballten sich in den Ecken zu Wollmäusen. Er hatte ein mulmiges Gefühl, als Madison sich aufmerksam umsah. Bestimmt denkt sie, wir hausen wie die Penner. Und wenn ihr Vater das Chaos hier sehen würde, dürfte sie garantiert nicht einmal mehr in die Nähe von Matts Haus kommen.
»Tja, zieht euch warm an.« Aidan wand sich aus der Ecke hervor und klopfte sich Staub vom Ärmel. »Der Grill ist hinüber, wir werden wohl ein Lagerfeuer im Garten machen müssen, um das zu Fleisch braten und ein bisschen warm zu werden.«
»Und was ist damit?« Madison zog ein Stück Plastikplane von einem Haufen Kisten und deutete auf einen langen gemauerten Klotz, der fast ganz unter Gerümpel begraben war. Aidan starrte mit offenem Mund darauf.
»Der alte Herd! Maddy, du bist ein Genie! Den hatte ich ja völlig vergessen.« Mit ein paar Sätzen war er in der Ecke und begann die Kisten herunterzuwuchten. »Wir sind ja schöne Idioten, Jay, warum sind wir nicht gleich darauf gekommen? Damit hat die Vorbesitzerin noch das Haus geheizt und gekocht. Und ich habe das Ding mal als Lager benutzt. Komm, hilf mir mal!«
Es war tatsächlich ein alter Herd mit eisernen Ofenringen. Es knirschte, Rost rieselte, als Aidan die geschmiedete Ofentür aufzog und einen ganzen Haufen verworrener Kabel herauszerrte. Dann schnappte er sich eine der leeren Obstkisten, die sich in der Ecke stapelten. Es gab ein Riesengetöse, als er sie mit ein paar Tritten zu Kleinholz machte. Feathers tappte in die Küche und beobachtete die Aktion mit schief gelegtem Kopf.
»Das nehmen wir zum Anschüren.«
»Dann hoffe ich, du hast inzwischen ein Feuerzeug gefunden«, bemerkte Jay. Aidan sah ihn überrascht an, dann schlug er sich gegen die Stirn. »Mist, stimmt! Habe ich ganz vergessen, Linda hat bestimmt Streichhölzer.«
Er ließ sie einfach stehen und ging in den Garten.
Madison nahm sich sofort die nächste Kiste vor und brach sie in Stücke. Dann kniete sie sich auf den Boden und begann einige Kleinspäne in den Ofen zu schieben.
Die Erinnerung entfaltete sich wie eine Feuerblüte, als er Madisons vornübergebeugte Gestalt betrachtete. Ihr Schatten schien zu verschwimmen und ein Eigenleben zu bekommen, zu wachsen und sich schließlich vor Madison zu schieben wie ein Nebel.
Eine andere Gestalt kniete vor dem Ofen. Die war hoch gewachsen und kräftig, mit langem rotem Haar und sehnigen Händen. Jay hatte nie gewusst, dass auch Sehnsucht wie ein Schlag in den Magen sein konnte.
Robin drehte mit beiden Händen einen Holzstab in ein Stück Rinde. Nach ein paar Sekunden hielt er inne, hob den Blick und grinste Jay verschwörerisch zu.
»Mein Vater hat mir einmal gezeigt, wie man Feuer macht. Im Central Park. Drüben in Manhattan.« Der Satz rutschte ihm einfach so heraus. Und beinahe hätte er Mannahatta gesagt.
Madison richtete sich auf und klopfte sich die Hände ab. Das Bild seines Vaters verschmolz mit ihrem Schatten und verschwand. »Wirklich? Und? Hat es funktioniert?«
Jay musste sich räuspern, um weitersprechen zu können. »Nein, das geht wohl nur im Film.« Mit einem Mal wünschte er nichts so sehr, als ihr einfach alles erzählen zu können. »Musst du wirklich gleich wieder zu deiner Tante zurück?«
»Ja, leider.« Sie seufzte und sah auf ihre Armbanduhr. »Oje, ich sollte demnächst
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