Zweilicht
der Präzision einer Jägerin ihre Wege, versetzte einige magische Zeichen an den Sträuchern beiläufig in Schwingung, indem sie gegen die Stämme trat, und huschte dann lautlos weiter. Über Schleich- und Irrpfade, die jeden Verfolger verwirren mussten, führte ihr Weg schließlich zurück zum Museum.
Es wurde schon dunkel, als sie es erreichten.
»Endlich!« Eine totenblasse Faye stürzte ihnen entgegen und fiel Ivy um den Hals. »Warum kommt ihr so spät? Was ist passiert?«
»Wir mussten ausweichen«, erwiderte Ivy völlig außer Atem. »Sie haben die Flussgrenze überschritten und sind uns über den Weg gelaufen. Aber wir konnten abhauen.«
Triumph lag in ihrer Stimme, sie grinste Jay verschwörerisch zu. Er lächelte zurück. Doch dann fiel ihr Blick auf etwas im hinteren Teil des Raumes. Sie stieß einen Freudenschrei aus und ließ Faye los. »Beren!« Im nächsten Moment lagen sie und ein braunhaariger Junge sich in den Armen. Sie redete auf Isländisch auf ihn ein und deutete auf Jay, und der Kerl, der offenbar Beren hieß, nickte und antwortete in ihrer Sprache. Sie wirkten so vertraut wie ein Paar, das sich nach Wochen der Trennung endlich wieder in den Armen halten durfte. Das Komische war, dass es Jay so viel ausmachte, als hätte Ivy ihm einen Tritt versetzt. Was hast du eigentlich erwartet? Natürlich hat sie einen Freund im Lager.
Jetzt entdeckte er auch die anderen. Drei Männer, die wie eine Mischung aus Wikingern und modernen Survival-Trainern wirkten. Sie waren muskulös und trugen wie Columbus Versatzstücke von Rüstungen über Steppjacken und khakifarbenen Hosen. Eben noch hatten sie einen Haufen von Säbeln und Schwertern sortiert, jetzt richteten sie sich auf und starrten ihn an wie einen Geist.
Für einen Moment kreuzte Berens Blick den von Jay. Und Jay lernte eine weitere Lektion über seine neue Welt: Vieles mochte anders sein, aber eines war auch nach hundert Jahren immer noch gleich. Beren lächelte zwar, aber der abschätzende und misstrauische Blick, mit dem er Jay musterte, war deutlich genug. Demonstrativ legte er den Arm um Ivy und zog sie enger an sich.
Schon gut, Wikinger , hätte Jay ihn am liebsten angeschnauzt. Ich bin nicht blind. Immer noch zitterte die Trugwelt in ihm nach. Wenn er an Matts Nähe dachte, wurde ihm wieder flau zumute.
»Du hast nichts davon gesagt, dass er ein Riese ist, Columbus«, bemerkte einer der Männer. »Bist du sicher, dass er ins Boot passt? Oder lassen wir ihn rüberschwimmen?«
»Er ist ein Kämpfer, der seinen Stolz hat«, erwiderte Columbus. »Ich würde dir nicht raten, dich über ihn lustig zu machen. Er hat eine gute Schlaghand.«
Beren lachte zweifelnd auf und Ivy hieb ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.
Der Blonde trat auf Jay zu. »Na dann … Willkommen zurück aus dem Schlaf«, sagte er mit rauer Herzlichkeit und streckte ihm die Hand hin. »Mich nennt man Jack. Und das da sind Thires, Mika und Beren. Wir sind die Vorhut, aber die ganze Kolonie brennt schon darauf, dich morgen früh kennenzulernen.«
»Ja, besonders deine Tochter, Jack«, bemerkte Faye. »Ich wette, wenn deine Schöne Jay sieht, lässt sie ihre vielen Verehrer einfach stehen.« Aber sie sah bei diesen Worten nicht den blonden Mann an, sondern Ivy.
*
In dieser letzten Nacht packte Jay sich eines der Felle und verkroch sich damit in die Abteilung »Asiatische Säugetiere«. Sein Kopf schwirrte von all den Fragen, die er den Kolonisten beantwortet hatte. Und selbst hier hörte er die anderen noch leise reden. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt. Den ganzen Abend hatten Ivy und Beren zusammengehangen und sich in ihrer Sprache unterhalten, und Jay war sich vorgekommen wie ein Idiot. Und jetzt ertappte er sich dabei, wie er Name für Name durchging und überlegte, welcher wohl zu Ivy passen könnte. Hör auf, schalt er sich. Er bildete sich ein, sie immer noch lachen zu hören. Als wollte sie mir beweisen, dass der Kuss gar nichts zu bedeuten hatte. Und ab morgen lebe ich in einer Gruft und darf zusehen, wie sie den ganzen Winter Prince Charming küsst. Diese Vorstellung fühlte sich fast so gut an, wie von Matt verfolgt zu werden. »Eifersüchtig, junger Ire?«, raunte ihm Liberty zu.
»Verschwinde!«
Liberty lachte. »Ach, die Liebe!« Sie seufzte theatralisch. »Ich habe viele berühmte Liebespaare gekannt. Die Stadt war voll von ihnen: Marilyn Monroe und Arthur Miller, John Lennon und Yoko Ono, Sarah Jessica Parker und Matthew Broderick
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