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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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»Sie sind hier«, formten ihre Lippen. Im nächsten Moment flohen sie schon Seite an Seite, während hinter ihnen Buschwerk unter schweren Schritten brach. Ivy duckte sich und kroch auf Händen und Füßen unter einem halb geöffneten Rolltor hindurch. Rost rieselte Jay in den Kragen, als er ihr folgte. Unter seinen Fingern knirschte Frost, dann gruben sich seine Finger in Morast und kalten Schlamm. Der Boden bebte, als würde etwas Riesiges ihnen folgen. Jays Beine kribbelten, als er sich vorstellte, wie Matt ihn entdeckte, aufholte – und ihm die Fänge in die Wade schlug. Er wusste nicht, wie er zur Wand gekommen war, aber plötzlich saß er neben Ivy. »Rühr dich nicht«, wisperte sie ihm zu. »Und sieh nicht hin, egal, was du hörst. Wenn ich ›jetzt‹ sage, dann kletter mir nach und sieh dich nicht um, klar?«
    Er konnte nur stumm nicken und schrak zusammen, als etwas auf seine Schultern fiel und über seine Stirn kratzte. Durch den Spalt unter dem Rolltor fiel Licht, schemenhaft konnte er erkennen, dass er durch ein Netz blickte, das Ivy über sie beide geworfen hatte. Redwood-Samen waren darin eingeflochten, eine Feder kitzelte seinen Hals.
    Sie kauerten sich dicht zusammen, Ivys Finger schlossen sich fest um seine Hand. Im nächsten Moment fuhr ihm ein ohrenbetäubendes Krachen durch jede Faser seines Körpers. Das Rolltor barst, scharfkantige Metallstücke und Roststaub wirbelten durch die Netzmaschen. Dann verdrängte ein riesenhafter Schatten das Licht. Das war’s , dachte Jay und presste die Lider zusammen. Ein Knurren erklang, so tief und widerhallend in einem gewaltigen Brustkorb, dass Jay es als Vibrieren in seinem Zwerchfell wahrnahm. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte sich nicht bewegen können. Etwas schien ihn durch die Maschen des Netzes anzustarren, er konnte den Blick fühlen, bedrohlich, hungrig. Dann traf ein Stoß heißer, dichter Atemluft seine Wange – ein Gestank von Raubtier und Aas. Ihm wurde schwindelig. Das ist Matt , schrie es in seinem Kopf. Plötzlich war es still, als würde das Ungeheuer lauschen. Ivys Hand war starr wie Stein, er konnte nicht einmal ihren Herzschlag fühlen, seine Finger dagegen pochten und seine Haare sträubten sich wie elektrisiert. Wie Ivy ihm befohlen hatte, rührte er sich nicht, hob nicht den Kopf, aber er hielt es nicht aus und spähte durch einen winzigen Spalt zwischen seinen Lidern auf den Boden. Matts Motorradstiefel. Aber die Gegenwart, die den Raum füllte wie schwarzer Rauch, war viel größer als die Truggestalt.
    Nebenan im ehemaligen Starbucks-Café splitterte und polterte es, als würden Tische gegen Wände geworfen. Vermutlich Linda, und vielleicht auch Madison und Aidan. Denk nicht an sie. Denk an Kaffee und Jude Law. Wie hieß sein letzter Film? Irgendetwas bellte draußen auf – ein Kojote. Das Ungeheuer vor ihnen horchte auf, verharrte noch einige Sekunden lauernd und offenbar unschlüssig. Jay spürte ein Wittern dicht an seinem Ohr, hörte ein Kratzen von Krallen auf Rost. Die Stiefel regten sich, verschwanden aus seinem Sichtfeld. Zurück blieb eine tiefe, viel zu große Spur im Schlamm, die sich rasch mit Wasser füllte. Nebenan ging irgendetwas mit einem metallischen Scheppern zu Bruch.
    »Jetzt«, flüsterte Ivy.
    *
    Night packte die Möbelstücke und warf sie einfach achtlos an die Wand, um Mo Platz zu machen. Wie von Sinnen lief Mo zwischen den Tischen herum, Schilfhalme verfingen sich in ihren gespreizten Fingern und ihre Füße sanken im Schlamm ein.
    »Gebt es auf. Wir haben alles auf den Kopf gestellt, aber er ist nicht hier«, sagte Coy.
    »Er muss aber hier gewesen sein«, schrie Mo. »Ich bin mir ganz sicher. Und jetzt ist es so, als wäre er einfach verschwunden. Riechst du gar nichts?«
    Ban hob die Nase vom Boden und richtete sich wieder zur vollen Größe auf. »Hier stinkt es nur nach den Tagnachtvögeln. Nebenan ist es unerträglich, da muss ein Nest sein.«
    »Ich verstehe es nicht«, rief Mo. »Wie kann sie verhindern, dass er meinem Ruf folgt?«
    »Vielleicht muss sie das gar nicht«, bemerkte Coy. »Vielleicht genügt es einfach, dass sie ein Mensch ist, wie er.«
    »Mo ist ein Mondmädchen, du Tölpel«, fuhr Ban ihn an. »Wenn sie das Meer bannt und ruft, wird es zu ihr kommen, der Wind, die Kälte, sie kann sogar Wendigo mit ihrem Ruf erreichen! Und du redest hier von einem Menschenmädchen, das nichts kann außer …«
    »… ihn zu küssen?«, ergänzte Coy mit einem schmalen, hinterhältigen

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