Zweimal Hölle und zurück (German Edition)
was?
Als das Sirren der Säge sich bereits so anhörte, als sägte sie mich auf, lag ich deshalb mucksmäuschenstill da und lieferte die lebensechte Kopie eines Leichnams ab.
Hey, jeder kann irgend was.
Graham Benson, der Pathologe, zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. Er war Nichtraucher, hatte aber eine Kippe und ein Feuerzeug von einem Mitglied der »Morgen hör ich auf, ich schwör’s«-Fraktion geschnorrt. Graham rauchte nicht, er hatte nie geraucht, war jedoch entschlossen, sofort damit anzufangen.
Die Tür zum Aufenthaltsraum der Ärzte schwang auf und Graham sah seinen Oberarzt, den überaus behaarten Dr. Carter, auf Zehenspitzen in den engen, fensterlosen, nach angebranntem Kaffee und Desinfektionsmitteln stinkenden Raum tappen.
Carter hatte sich vor Kurzem den Bart stutzen lassen, sodass dessen Enden nunmehr seinen Hals und nicht mehr seine Brustwarzen berührten. Sein dunkles, lockiges Brusthaar ragte aus dem Ausschnitt des Pflegerhemdes hervor. Carter hatte um Erlaubnis gebeten, den vorgeschriebenen Laborkittel weglassen zu dürfen, und nachdem er seine Kollegen davon überzeugt hatte, dass seine Körperbehaarung ihn ausreichend warm hielt, hatten sie nachgegeben. Ein behaarter Carter war an sich schon ein beunruhigender Anblick. Kamen jedoch noch Schweiß und ein krebsrot angelaufener Kopf hinzu, war der Mann ein Gräuel vor dem Herrn.
»Alsoooo.« Carter hüstelte. Es klang, als mühte sich ein Lastwagen im falschen Gang einen Hügel hinauf. »Schlimme Nacht, Dr. Benson?«
»Ist bald früher Morgen, Carey.« Das war ein Verstoß gegen die Etikette, denn weder Praktikanten noch Ärzte durften den Vorgesetzten mit Vornamen anreden, wenn er es nicht angeboten hatte. Graham allerdings hielt sich nicht daran. Und er überlegte es sich nie zweimal, bevor er wieder einmal die Grenzen überschritt. Er war intelligent, energisch und sehr fähig, deshalb ließ man es ihm immer wieder durchgehen. »›Schlimme Nacht‹ ist nicht bloß dämlich, Carey. Und auch nicht direkt unzutreffend. Sondern einfach nur dumm. Und … genau. Ich hab das schon mal gesagt.« Er zog an der missmutig vor sich hin qualmenden Kippe und dachte: Millionen Menschen rauchen diesen Mist? Mehrere pro Tag? Jahrelang? Freiwillig? Ich hab’s doch immer schon gewusst: 99,5 Prozent der menschlichen Rasse bestehen aus Idioten und die übrigen fünf Prozent aus Schwachköpfen.
»Hören Sie, wir alle verstehen, wie Ihnen zumute ist. Nur Ihr neues seltsames Hobby bereitet mir Sorgen«, sagte Carter, und Benson schüttelte den Kopf angesichts der fast verglimmten Zigarette. »Aber es gibt keinen in dieser Abteilung, der nicht mit Ihnen fühlt.«
Er lockerte seinen Kragen. Das Pflegerhemd war von unzähligen Wäschen ganz weich. »Lüge.«
»Zumindest gibt es vermutlich einen in dieser Abteilung, der es Ihnen wirklich nachfühlen kann.«
»Ach Gottchen! Jetzt geht’s mir schon viel besser! Die begeisterten Massen zeigen Mitgefühl. Oder zumindest einer. Vermutlich.«
»Sie müssen zugeben, es passiert nicht jeden Tag, dass ein Patient mitten während der …«
Graham spürte, wie seine Zähne klapperten. Unwillkürlich biss er zu, und der größte Teil der Zigarette fiel zu Boden. »Sie ist nicht aufgewacht, sie war tot . Sie hat nicht im Koma gelegen. Sie war auch nicht unterkühlt. Sie war tot . Da war nichts, aus dem sie hätte aufwachen können.«
»Okay, Graham, aber Wortklauberei bringt uns jetzt nicht wirklich …«
»Herzstillstand! Hirntot! Erweiterte und starre Pupillen! Sinkende Körpertemperatur … fast schon Zimmertemperatur, verstehen Sie? Und nun raten Sie mal, warum man davon nicht mehr aufwacht! Wollen Sie’s wissen? Weil Menschen, die bereits auf Zimmertemperatur heruntergekühlt sind, tot sind !« Wieder fasste er an seinen Kragen und zerrte daran herum.
»Also, Sie müssen mir schon ein wenig mehr sagen. Ist sie aufgewacht und hat dann geschrien, oder ist sie von ihrem eigenen Schrei aufgewacht?«
Graham sackte nach vorn und legte seine Stirn auf den rissigen, narbigen Tisch. »Sie wollen meinen Tod, stimmt’s? Und dafür müssen Sie mich unbedingt zu Tode nerven, stimmt’s? Denken Sie an Ihren Eid, Doktor, und bringen Sie wenigstens so viel Anstand auf, es rasch zu tun.«
Endlich war es so weit! Dieser Typ war wohl der langsamste oder verschlafenste Gerichtsmediziner in der Geschichte der Forensik. Er wusste wohl nicht, dass es Leute in seiner Leichenhalle gab, die noch ein Ziel hatten.
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