Zweimal ist einmal zuviel
wegfahren.«
Betty Greenburg war neunundachtzig und die Hölle auf Rädern.
»Seitdem sie im August den Schlaganfall hatte, kann sich Betty Greenburg nichts mehr merken«, sagte meine Mutter. »Letzte Woche ist sie bis nach Asbury Park gefahren. Eigentlich wollte sie nur schnell etwas einkaufen, aber dann hat sie irgendwo die falsche Ausfahrt genommen.«
»Wie lange ist Grandma schon weg?«
»Fast zwei Stunden, obwohl sie nur zum Bäcker wollte. Vielleicht rufe ich lieber die Polizei an.«
Plötzlich hörte ich im Hintergrund eine Tür knallen und lautes Stimmengewirr.
»Deine Großmutter ist wieder da«, sagte meine Mutter. »Sie hat einen Verband um die Hand.«
»Gib sie mir mal.«
Grandma Mazur kam ans Telefon. »Es ist nicht zu fassen«, sagte sie empört. »Mir ist eben etwas Furchtbares passiert. Betty und ich hatten gerade beim Bäcker eine Schachtel frischer italienischer Plätzchen gekauft, als kein anderer als Kenny Mancuso hinter einem Auto auftaucht und dreist auf mich zu marschiert.
›Wen haben wir denn da?‹ sagt er. ›Wenn das nicht Grandma Mazur ist.‹
›Stimmt, aber ich weiß auch, wer Sie sind‹, sage ich. ›Sie sind dieser Taugenichts, Kenny Mancuso.‹
›Da haben Sie rechts sagte er. ›Und ich werde Ihnen in Ihren schlimmsten Alpträumen erscheinen‹«
Grandma atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen.
»Mom hat erzählt, du hättest einen Verband um die Hand«, sagte ich behutsam. Ich wollte sie nicht drängen, aber ich mußte die Wahrheit wissen.
»Das war Kenny. Er hat mir einen Eispickel in die Hand gestochen«, antwortete Grandma mit unnatürlich schriller Stimme. Offenbar hatte sie sich noch nicht wieder ganz gefangen.
Ich schob die Sitzbank nach hinten und ließ den Kopf hängen.
»Hallo«, sagte Grandma. »Bist du noch da?«
Ich holte tief Luft. »Wie geht es dir jetzt?«
»Mir geht es gut. Im Krankenhaus haben sie mich gut versorgt. Ich habe Tylenol mit Kodein bekommen. Wenn man davon was intus hat, merkt man noch nicht mal, wenn man von einem Lastwagen überrollt wird. Und weil ich so aufgedreht war, haben die Ärzte mir auch noch ein paar Beruhigungspillen gegeben. Anscheinend habe ich noch Glück gehabt, weil der Eispickel keine wichtigen Teile verletzt hat. Er ist glatt zwischen den Knochen durchgegangen. Ein sauberer Einstich.«
»Und was ist aus Kenny geworden?«
»Der hat sich wie ein feiger Hund sofort aus dem Staub gemacht. Aber er will wiederkommen. Er hat gesagt, das wäre bloß der Anfang gewesen.« Ihre Stimme wurde brüchig. »Kannst du dir das vorstellen?«
»Vielleicht wäre es besser, wenn du in der nächsten Zeit nicht aus dem Haus gehst.«
»Das glaube ich auch. Ich bin todmüde, und ich könnte eine schöne Tasse Tee vertragen.«
Meine Mutter kam wieder an den Apparat. »Was ist nur aus dieser Welt geworden?« sagte sie. »Eine alte Frau wird am helllichten Tag vor der Bäckerei angegriffen.«
»Ich lasse das Telefon eingeschaltet. Laß Grandma nicht mehr aus dem Haus, und melde dich, wenn noch etwas passiert.«
»Was denn noch? Ist denn noch nicht genug passiert?«
Ich beendete das Gespräch und stöpselte das Handy in den Zigarettenanzünder. Mein Herz schlug dreimal so schnell wie gewöhnlich, und meine Hände waren schweißnaß. Ich konnte kaum noch klar denken, so aufgewühlt war ich. Ich stieg aus und hielt nach Morelli Ausschau. Ich fuchtelte mit den Händen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
Im Buick zirpte das Telefon. Es war Morelli. Ein ungeduldiger oder aber auch besorgter Unterton lag in seiner Stimme.
»Ja?« sagte er.
Morelli hörte sich schweigend an, was ich ihm über Grandmas Abenteuer zu erzählen hatte. Zum Schluß hörte ich ihn fluchen und enttäuscht seufzen. Es mußte schwer für ihn sein. Immerhin gehörte Kenny Mancuso zu seiner Familie.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Kann ich irgend etwas für dich tun?«
»Du kannst mir helfen, Mancuso zu schnappen.«
»Den erwischen wir schon.«
Unausgesprochen blieb die Befürchtung, daß wir ihn nicht schnell genug erwischen würden.
»Halten wir uns trotzdem weiter an den Plan?« fragte Morelli.
»Aber nur bis sechs. Ich esse heute abend zu Hause. Ich muß Grandma Mazur sehen.«
Im Bestattungsinstitut tat sich bis um ein Uhr nichts mehr. Dann wurde die Tür für die öffentliche Aufbahrung am Nachmittag geöffnet. Während ich mit dem Fernglas die Fenster beobachtete, erhaschte ich einen Blick auf Spiro, der nun, wie üblich, Anzug und Schlips
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