Zwergenbann: Roman
strenger Rationierung vielleicht auch vier Wochen mochten die Vorräte reichen, schätzte er. Danach würde Bürgermeister Lavinions Zuversicht wohl in sich zusammenbrechen, und ihm würde nichts anderes als eine Kapitulation übrig bleiben.
Erleichtert würde ihm dieser Schritt dadurch werden, dass Orwan inzwischen nicht mehr in Lebensgefahr schwebte und sich auf dem Weg der Besserung befand. Den Mistkerlen, die ihn überfallen hatten, drohte also nicht mehr der Tod, wenn sie ausgeliefert würden.
Tharlia hatte Lavinion diese Nachricht durch einen Boten überbringen lassen, in der Hoffnung, dass der Bürgermeister unter diesen Umständen zur Vernunft kommen und die drei Schufte ausliefern würde. Lavinion jedoch hatte unnachgiebig auf die lartronischen Gesetze gepocht und sogar jegliche weitere Verhandlungen abgelehnt, solange sich das Zwergenheer nicht zurückzog.
Diese erneute Provokation hatte die Stimmung noch aufgeheizt, und dass alles ruhig blieb, war in erster Linie dem besonnenen Kriegsmeister Loton zu verdanken, der den Oberbefehl über das Belagerungsheer übernommen hatte. Thilus wiederum hatte von ihm das Kommando über die nördlich der Stadt stationierten Truppen übertragen bekommen, dem wichtigsten und am meisten gefährdeten Punkt der Blockade. Dort befanden sie sich nur wenige Steinwürfe weit vom Heerlager der lartronischen Reiterei entfernt. Sollte Valutus sich wider alle Vernunft entschließen, einen Ausbruch zu wagen, dann würde dieser dort erfolgen.
Während des ersten Vormittags der Blockade verließen verschiedene Reisende aus anderen Städten und durchfahrende Händler Clairborn. Die Zwerge ließen sie ziehen, bis ihre Zahl im Laufe des Tages immer weiter zunahm und offensichtlich wurde, dass es sich nicht mehr um Fremde handelte, sondern um Einwohner, die vor der Belagerung fliehen wollten.
Hineingelasen wurde in den Ort überhaupt niemand mehr. Einige Händler, die in Clairborn Geschäfte tätigen wollten, kehrten sofort um, als sie aus der Ferne das Zwergenheer erblickten, andere reagierten mit Zorn und Empörung darauf, dass sie unverrichteter Dinge wieder gehen mussten. Zumindest diejenigen, die mit Nahrungsmitteln gekommen waren, vermochte Tharlia jedoch einigermaßen zu besänftigen, indem sie ihnen ihre Waren abkaufte, wenn auch zu einem niedrigen Preis.
Aber das waren nur vereinzelte Ausnahmen. Ganz anders hingegen sah es einige Tage später aus.
Thilus wunderte sich zunächst über die hohe Zahl der bereits am frühen Morgen eintreffenden Händler, bis er begriff, dass Markttag war - oder besser: wäre. Innerhalb von nur einer Stunde stauten sich die Fuhrwerke auf der Straße, so weit der Blick reichte. Nicht nur Händler mit allen möglichen Waren, sondern auch Gaukler, Artisten, Musiker, Schausteller mit ganzen Kolonnen von Wagen, in denen sich ihre wilden Tiere befanden, und viele weitere, die alle nach Clairborn auf den Markt wollten. Sie zu beruhigen war fast unmöglich, und nur die massive Anzahl von Zwergenkriegern hielt sie von Ausschreitungen ab.
Es war absurd - Thilus war sicher, dass sie allesamt Hals über Kopf die Flucht ergriffen hätten, wenn es anstelle der Belagerung einen offenen Krieg mit richtigen Kampfhandlungen gegen Clairborn gegeben hätte. Die scheinbare Friedlichkeit des Bildes jedoch, das sich ihnen bot, ließ sie sich darüber empören, dass nicht auch alles andere so war wie immer.
Die Menschen waren eben ein seltsames Volk, dessen komplizierte und umständliche Denkweisen schwer für jemanden nachzuvollziehen waren, der so gradlinig dachte, wie Zwerge es taten.
Tharlia selbst sprach mit den Händlern und Schaustellern. Erneut kaufte sie sämtliche Nahrungsmittel, die sie zu einem akzeptablen Preis erhalten konnte, sodass sie zumindest diese Händler zufriedenstellte. Allen anderen bot sie an, ihre Stände in Elan-Tart statt in Clairborn aufzubauen. Es wäre eine willkommene
Abwechslung für das Zwergenvolk, wenn sie dort ihre Waren feilboten, und sicherlich würden sie das eine oder andere Stück verkaufen können. Auch die Schausteller konnten davon ausgehen, dass ihre Darbietungen auf Interesse stoßen würden, auf größeres vermutlich sogar als in Clairborn.
Einige nahmen Tharlias Angebot an, andere weigerten sich, da sie wussten, dass die meisten Zwerge in Elan-Tart nicht gerade mit Reichtümern gesegnet waren. Flüchtlinge im Exil hüteten das Wenige, das ihnen geblieben war, und warfen ihr Geld nicht für Vergnügungen zum Fenster
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