Zwergenbann: Roman
auch nur wenige Frauen waren dafür geeignet. In diesem Moment allerdings hätte Warlon viel dafür gegeben, wenn er ihre Fähigkeiten ebenfalls besäße.
Schon bald hatten sie wieder genug Gefühl in den Zehen, um sich allein auf den Beinen zu halten, und obwohl Warlon immer wieder kurze Pausen einlegen musste, machte er tapfer einen Schritt nach dem anderen, bis es ihm gelang, wieder völlig normal zu gehen. Auch den anderen ging es besser. Sie setzten sich und streiften sich die Stiefel wieder über.
Nun war es an Ailin, aufzustehen.
»Da meine Fähigkeiten nur so schwach sind, ist es nicht viel, was ich euch geben kann, aber es wird euch trotzdem etwas helfen«, sagte sie, dann blickte sie Malcorion bedauernd an. »Bei Menschen wirken meine Kräfte leider nicht.«
Sie berührte Lokin kurz mit den Fingerspitzen an den Schläfen,
anschließend Warlon. Eine Woge angenehmer Wärme strich durch seinen Körper und vertrieb zumindest für einen Moment die Kälte. Er lächelte ihr dankbar zu, auch wenn er schon nach wenigen Sekunden die Kälte um sie herum wieder zu spüren begann.
Erschöpft lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Er wollte jetzt nicht daran denken, wie sie die Grenze überwinden könnten, nachdem die Überquerung der Weißberge gescheitert war. Darüber konnten sie sich morgen Gedanken machen.
Wohlige Müdigkeit hüllte Warlons Verstand ein. Er war bereits fast eingeschlafen, als er plötzlich nicht weit entfernt ein leises Geräusch hörte. Es klang fast wie das Schnauben eines Pferdes. Mit einem Schlag war er wieder hellwach. Auch die anderen hatten sich aufgesetzt und lauschten angespannt, was ihm bewies, dass er sich nicht nur im Halbschlaf etwas eingebildet hatte. Sie hatten das Geräusch ebenfalls gehört.
»Da ist jemand«, flüsterte Malcorion. »Zieht eure Waffen, und macht euch bereit. Aber leise.«
Es hätte seiner Warnung nicht bedurft. Warlon und Lokin hatten sich bereits erhoben und ihre Äxte ergriffen. Auch Ailin und Malcorion standen geschmeidig auf. Sie zogen ihre Schwerter, wobei sie die Klingen zwischen Daumen und Zeigefinger durchgleiten ließen, um jedes verräterische Geräusch zu vermeiden.
Lautlos näherten sie sich dem Eingang. Warlon bedeutete Lokin und dem Waldläufer, sich rechts davon zu halten, während er selbst mit Ailin auf der anderen Seite blieb, doch noch bevor sie ihre Positionen einnehmen konnten, wurde die Decke mit einem Ruck heruntergerissen. Sechs, sieben Soldaten mit den roten Umhängen der radonischen Armee kamen mit Schwertern in den Händen hereingestürmt, weitere drängelten sich hinter ihnen. Für einen Moment stockten sie, als sie ihre Gegner kampfbereit vor sich stehen sahen, statt sie wie wohl erwartet überraschen zu können, doch überwanden sie ihren Schreck rasch und griffen sofort an.
Warlon riss seine Streitaxt hoch und wehrte einen Schwerthieb mit dem unteren Ende des Griffs, einen weiteren mit der Schneide ab, dann rammte er dem Soldaten den Stil der Axt mit aller Kraft gegen die Brust. Der Mann gab einen röchelnden Laut von sich und stürzte zurück, wobei er noch einen zweiten Soldaten behinderte und fast mit sich zu Boden riss.
Aber Warlon spürte, dass seine Bewegungen deutlich langsamer als sonst waren. Die Kälte lähmte ihn noch immer, während die Soldaten bei weitem nicht so stark darunter zu leiden schienen. Unter ihren Umhängen trugen sie dicke Mäntel aus Pelz, und auch ihre Hände steckten in pelzgefütterten Handschuhen.
Nur mit knapper Not konnte Warlon einem weiteren Schwerthieb entgehen, doch einem nachfolgenden Stoß konnte er nicht mehr völlig ausweichen. Die Klinge strich über seinen linken Arm und fügte ihm einen brennenden Schnitt zu, der zwar nicht allzu tief war, aber sofort zu bluten begann. Der Angriff war auf sein Herz gezielt gewesen.
Spätestens in diesem Moment erkannte er, dass die Soldaten darauf aus waren, sie zu töten. Offenbar hatten sie begriffen, dass die Zwerge sich weder ergeben noch Malcorion im Stich lassen würden, und dass es ihnen kaum gelingen würde, sie lebend gefangen zu nehmen. Bislang hatte Warlon in ihnen nur Männer gesehen, die einem Befehl gehorchten, bei dessen Ausführung er und die anderen Zwerge im Weg standen, ohne selbst Händel mit ihnen zu haben. Deshalb hatte er vorgehabt, sie nach Möglichkeit zu schonen, doch nun, da ihm klar wurde, dass er umgekehrt auch keinerlei Schonung zu erwarten hatte, ließ er ebenfalls alle Rücksicht fallen. Sie kämpften um
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