Zwergenbann: Roman
sein Inneres mehr und mehr in einen Eisklotz verwandelte.
Nur ganz allmählich lockerte sich der eisige Klammergriff, mit dem die Kälte seinen Kopf umfangen hielt und seine Gedanken zu ersticken drohte. Warlon nahm seine Umgebung wieder deutlicher wahr, wurde nicht mehr von Halluzinationen geplagt. Er erkannte, dass sie fast wieder dort waren, von wo sie am Morgen aufgebrochen waren. Tatsächlich erreichten sie nur wenige Minuten später die Höhle, in der sie die vergangene Nacht verbracht hatten. Kaum hatten sie sie betreten, ließen sich die Zwerge zu Boden sinken. Warlon legte seine Axt neben sich.
Im Vergleich zur Außenwelt war es im Inneren regelrecht warm. Zumindest kam es Warlon so vor, doch das war nur eine trügerische Illusion. Hier waren sie lediglich vor dem schneidenden Wind geschützt, und sein Körper registrierte dies bereits als vermeintliche Wärme.
Mit schwerfälligen, ungelenken Bewegungen, die wie die eines uralten Mannes wirkten und zeigten, wie stark auch ihm der Marsch zu schaffen gemacht hatte, streifte Malcorion seine Decke von den Schultern und befestigte sie wie schon am vorigen Abend vor dem Ausgang, dann entzündete er eine Fackel und steckte sie in einen Spalt im Fels.
»Zieht eure Handschuhe und Stiefel aus!«, verlangte er. Als er die ungläubigen Blicke der Zwerge wegen dieses scheinbar widersinnigen
Befehls bemerkte, fügte er hinzu: »Ihr müsst sie massieren, um die Durchblutung wieder anzuregen und einer Erfrierung vorzubeugen. Am besten wäre es sogar, sie mit Schnee abzureiben, aber daran hätte ich früher denken sollen. Es muss auch so gehen.«
»Tut, was er sagt«, ergänzte Ailin.
Wenig überzeugt streifte Warlon seine ledernen Handschuhe ab, wobei er seine Zähne zu Hilfe nehmen musste. Jede Bewegung der Finger fiel ihm schwer, doch er hauchte sie wieder und wieder an, bis sie zu prickeln begannen. Anschließend klemmte er die Hände mehrere Minuten lang unter seinen Achselhöhlen ein. Das Prickeln wurde fast unerträglich schmerzhaft, aber er begrüßte den Schmerz regelrecht. Er zeigte ihm, dass das Leben in seine Finger zurückkehrte.
»Was ist mit dir?«, wandte er sich an Ailin, die zwar ebenfalls ihre Handschuhe und auch bereits die Stiefel ausgezogen hatte, ansonsten aber völlig ruhig mit geschlossenen Augen dasaß.
»Wir befinden uns hier nicht tief genug im Berg, als dass ich meine Fähigkeiten als Priesterin voll nutzen könnte, aber es gelingt mir wenigstens zu einem kleinen Teil«, entgegnete sie. »Genug zumindest, um mich weitgehend gegen die Kälte abzuschirmen und von innen zu wärmen.«
»Wie das geht, kannst du uns wohl nicht beibringen, oder?«, erkundigte sich Lokin mit einer Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen sollte, aber völlig verunglückte, weil er seine Gesichtsmuskeln noch nicht wieder richtig unter Kontrolle hatte. Ailin antwortete nicht einmal.
Warlon zog sich mit immer noch klammen Fingern umständlich die Stiefel aus. Er erschrak, als er seine Füße sah. Die Haut an den Zehen war leicht bläulich angelaufen, wie er es noch nie gesehen hatte. Als er sie anfasste, spürte er die Berührung nicht. Er hatte nicht einmal gewusst, dass auch einzelne Körperteile erfrieren konnten, aber genau das hatte Malcorion wohl gemeint.
Vorsichtig begann er damit, seine Füße zu massieren. Minutenlang
mühte er sich ab. Schließlich, als er schon nahe daran war, die Hoffnung aufzugeben, spürte er endlich ein erstes Gefühl. Es steigerte sich allmählich zu dem schon vertrauten Prickeln, bis es ihm sogar gelang, die Zehen ein wenig zu bewegen. Zunächst tat es höllisch weh, aber es zeigte ihm, dass er wenigstens überhaupt noch Gefühl in ihnen hatte; offenbar hatte er also keine Erfrierungen erlitten. Die Erleichterung darüber half ihm, den Schmerz zu ertragen.
Die Verfärbung der Haut ging zurück, der Blaustich verwandelte sich in einen rosigen Schimmer, als seine Zehen richtig durchblutet wurden. Warlon zwang sich aufzustehen. Malcorion und Lokin taten es ihm gleich. Anfangs waren sie so wackelig auf den Beinen, dass sie sich gegenseitig stützen mussten, und der Schmerz bei jedem Schritt erschien ihm schier unerträglich, dennoch gab er nicht auf.
Neidisch blickte er zu Ailin, die mit geschlossenen Augen an der Felswand lehnte. Ihr Gesicht war noch immer von den Strapazen gezeichnet, doch schien es ihr bereits deutlich besser als noch vor ein paar Minuten zu gehen. Nur Frauen konnten Priesterinnen der Li’thil werden, und
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