Zwergenbann: Roman
zurückgeschickt.«
»Lhiuvan ist nicht typisch für alle Elben«, behauptete Malcorion. »Im Gegenteil, er gehört sogar zu einer nur kleinen Minderheit innerhalb seines Volkes. Man könnte sagen, er lebt in einer falschen Zeit. Oder eher, dass die Zeit für ihn stehen geblieben ist.«
»Wie meinst du das?«
»Er ist so, wie die Elben vor langer Zeit waren. Stolz und voller Tatendrang. Und voller Zorn und Verbitterung. Nur wenige sind heute noch so wie er, und sie müssen hilflos dem Untergang ihres Volkes zusehen. Die große Zeit der Elben ist vorbei, ihr Volk stirbt einen langsamen, qualvollen Tod. Die Alten sterben, denn obwohl Elben selbst für Zwergenmaßstäbe sehr alt werden, sind sie nicht unsterblich, und immer weniger Kinder werden geboren. Einst zählte ihr Volk nach Hunderttausenden. Nun gibt es keine fünftausend von ihnen mehr. Deshalb haben sie sich hierher zurückgezogen.«
Seine Worte machten Warlon betroffen, denn sie galten in ganz ähnlicher Form auch für sein eigenes Volk. Die große Zeit der Zwerge war ebenfalls längst vorüber, obwohl sie erst lange nach den Elben die Bühne der Welt betreten hatten. Auch sie hatten einst nach Hunderttausenden gezählt, von denen nur noch die Bewohner Elan-Dhors übrig geblieben waren.
»Fünftausend«, murmelte er, während sich seine Verblüffung in Ärger verwandelte. »Dann haben wir hier wirklich nicht viel Hilfe zu erwarten. Ich hatte gehofft, die Elben würden ein Heer ausschicken, um uns zu Hilfe zu kommen.« Anklagend richtete er seinen Blick auf den Waldläufer. »Du wusstest, dass man uns hier gar nicht würde helfen können. Warum hast du uns nicht schon früher die Wahrheit gesagt, statt uns in trügerischer Hoffnung
zu wiegen? Hast du dich wenigstens gut auf unsere Kosten amüsiert?«
»Wenn du nach allem, was wir durchgemacht haben, glaubst, dass ich aus so niederträchtigen Motiven handeln würde, dann kennst du mich nicht annähernd so gut, wie ich dachte«, erwiderte Malcorion mit plötzlich scharfer Stimme. »Du bist verbittert und fühlst dich betrogen, das verstehe ich«, fügte er sanfter hinzu. »Ein Elbenheer, das Seite an Seite mit deinem Volk in den Kampf zieht, hast du hier nicht zu erwarten, das ist richtig. Aber Hilfe kann viele Formen haben. Vielleicht hätte ich euch früher sagen sollen, dass ihr hier keine militärische Unterstützung dieser Art finden könnt, aber ich fürchtete, dass ihr mich missverstehen und eure Mission abbrechen würdet, wenn ihr euch nur darauf versteift habt. Noch immer besitzen die Elben große Macht, aber eine andere, als du sie dir offenbar vorgestellt hast.«
Warlon schwieg. Er war noch immer zornig und fühlte sich betrogen, aber auch verwirrt. Er verstand nicht ganz, was Malcorion mit seinen Worten meinte, aber immerhin spürte er, dass der Waldläufer aufrichtig glaubte, dass ihnen hier Hilfe zuteil werden könnte.
So war er froh, dass ihr Gespräch unterbrochen wurde, als die Tür aufging und Lokin seinen Kopf hereinstreckte.
»Was macht ihr denn so lange hier? Kommt endlich, wir wollen uns ein wenig umsehen.«
Der Anblick war überwältigend. Die Tür führte auf eine Art Galerie oder Balkon hinaus, und kaum, dass er ins Freie trat, begriff Warlon, warum man diesen Ort das goldene Tal nannte.
Sie befanden sich in einem großen und länglichen, ringsum von Bergen eingeschlossenen Kessel, durch dessen Grund sich ein Fluss schlängelte, über den mehrere Brücken führten. In der Ferne sah Warlon sogar mehrere Schiffe am Ufer vertäut liegen.
Zahlreiche Häuser waren in unterschiedlicher Höhe direkt an die Hänge der Berge gebaut und ragten kühn hinaus, oft noch
mit ausladenden Plattformen oder Galerien wie der, auf der sie sich befanden. Hätten die Häuser nicht aus Holz, sondern aus Stein bestanden, und wäre das Tal eine Höhle im Inneren eines Berges gewesen, hätte es sich in der Anlage beinahe um eine Zwergenstadt handeln können, obwohl der Baustil ein völlig anderer war. Zwerge bevorzugten eine gedrungene, kompakte Bauweise, während hier fast alle Bauwerke lange, spitze Türmchen aufwiesen.
Ansonsten jedoch herrschten hauptsächlich runde, fließende Formen vor, viele Bögen. Fast alle Gebäude waren durch Treppen und zum Teil kühn geschwungene Wege entlang der Felswand miteinander verbunden, viele davon überdachte Bogengänge. Wo keine Häuser standen, waren die Felswände dicht bewachsen, teilweise bedeckten Kletterpflanzen auch die Hauswände selbst oder
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