Zwergenbann: Roman
unser ganzes Volk zu spalten. Die Thir-Ailith wurden ungeduldig. Eigenmächtig überzogen sie einige Völker mit Krieg, um sich zu ihren Herrschern aufzuschwingen. Dieses Treiben, das all unseren Grundsätzen widerspricht, konnte nicht geduldet werden, doch sie daran zu hindern, war nur mit Waffengewalt möglich. Und so wurde zum ersten Mal auch Krieg in unser eigenes Volk getragen. Ein schrecklicher Krieg, der lange andauerte und die Welt verwüstete, doch schließlich waren unsere Vorfahren siegreich. Sie trieben die überlebenden Thir-Ailith in Katakomben tief, tief im Leib der Erde und versiegelten diese, in der Annahme, dass die Abtrünnigen dort schon bald zugrunde gehen würden. Ein schrecklicher Irrtum, wie sich nun nach all den seither vergangenen Äonen herausstellt.«
Minutenlanges Schweigen folgte seinen Worten, nicht einmal Geflüster war zu hören. Was er gesagt hatte, musste für die Elben einen ungeheuren Schock bedeuten, anscheinend war das Wissen um diese Ereignisse, die ziemlich genau dem entsprachen, was Selon sich aufgrund von Hinweisen und Andeutungen zusammengereimt hatte, hier völlig unbekannt gewesen.
Auch Warlon war wie gebannt, als er begriff, dass seine Mission auf Messers Schneide gestanden hatte. Ohne die Enthüllungen Tholuvils hätte niemand hier seinen Worten Glauben geschenkt.
»Und Ihr seid völlig sicher, dass es sich nicht tatsächlich nur um eine Legende handelt?«, fragte Illurien schließlich mit bebender Stimme. »Wie kommt es, dass das Wissen um so bedeutsame, schlimme Ereignisse verloren ging?«
»Darüber kann auch ich nur Vermutungen anstellen«, erwiderte der Greis. »Ich glaube, als der Krieg vorbei war, schämten sich unsere Vorfahren des Schrecklichen, das zu tun ihnen keine andere Wahl geblieben war. Sie verdrängten die Erinnerung daran aus ihrem Gedächtnis, nur so war es ihnen möglich, damit fertig zu werden. Deshalb gibt es auch so wenige Aufzeichnungen darüber, auf die ich meine Forschungen stützen konnte. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass all dies wirklich geschehen ist. Nun versteht Ihr wohl, weshalb auch ich mein Wissen so lange Zeit für mich behielt und hoffte, es nie offenbaren zu müssen. Nun aber hat uns diese schreckliche Vergangenheit eingeholt, und ich konnte nicht länger schweigen.«
Mit gesenktem Kopf kehrte er an seinen Platz zurück und setzte sich wieder, dafür stand Warlon erneut auf.
»Ich hoffe, nach diesen Enthüllungen werdet Ihr das, was ich berichtet habe, in anderem Licht betrachten«, sagte er. »Nun gibt es wohl keinen Zweifel mehr, dass es sich bei den Ungeheuern, die unser Volk bedrohen, um diese Thir-Ailith handelt, um die Abtrünnigen Eures Volkes, die es auf irgendeine Art geschafft haben, in ihren Kerkern tief im Leib der Erde zu überleben und sogar zu neuer Macht zu erstarken. Und ich hoffe, unter diesen Umständen seid Ihr auch bereit, unser verzweifeltes Flehen um Beistand anders zu beurteilen.«
Wieder herrschte einige Momente Schweigen. Bangend erwartete Warlon die Antwort der Elbenherrin.
»Eure Worte erlegen uns eine große Bürde auf«, sagte sie schließlich. »Etwas ist enthüllt worden, das die gesamten Lebensgrundlagen unseres Volkes bis ins Innerste erschüttert, und wir werden Zeit brauchen, dies zu bewältigen. Noch schlimmer jedoch ist, dass auch andere Völker wie das Eure, die unsere Vorfahren
einst beschützen wollten, nun unter der Gefahr leiden müssen, die unser Erbe darstellt. Nur zu gerne würde ich helfen, diese Bedrohung zu bannen, aber Ihr seht selbst, wie es heute um unser Volk steht. Sicherlich habt Ihr auf ein Heer mächtiger Elbenkrieger gehofft, das Euch in Eurem Kampf Beistand leisten wird, doch ein solches Heer existiert schon lange nicht mehr. Wir sind die Letzten eines sterbenden Volkes.«
»Aber irgendetwas muss es doch geben, was Ihr tun könnt«, stieß Warlon hervor. »Die Gefahr geht von Abtrünnigen Eures Volkes aus. Dieser Verantwortung könnt Ihr Euch nicht einfach entziehen!«
»Das ist auch nicht mein Trachten. Aber wie ich zuvor schon sagte, es gibt nichts, was wir für Euch tun können. Ich fürchte, Ihr steht in Eurem Kampf allein da.«
»So einfach könnt Ihr es Euch nicht machen! Im Moment ist es unser Kampf, aber wenn wir versagen, wird es schon bald auch der Kampf der Menschen und aller anderen Völker sein, und irgendwann wird er auch Euch einholen. Wir sind überzeugt, dass alles Streben der Thir-Ailith, denen wir den Namen Dunkelelben verliehen haben,
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