Zwergenbann: Roman
hätten viele der Schäden ganz vermieden werden können. Überall waren Schludrigkeiten zu entdecken, wie sie Zwergenarbeitern nicht unterlaufen wären.
Die Menschen waren ein stets hastiges, ungeduldiges Volk mit einem ganz anderen Verhältnis zur Zeit, was wahrscheinlich mit ihrer sehr viel kürzeren Lebenserwartung zusammenhing und sich in nahezu allem äußerte, was sie taten. Wahrscheinlich errichteten sie ihre Häuser in der Hälfte der Zeit, die Zwerge dafür benötigt hätten, aber dafür waren sie auch nur halb so stabil, in den meisten Fällen gar nicht dazu gedacht, ihren Erbauer zu überdauern. Größere Sorgfalt widmeten sie höchstens ihren Tempeln, Burgen oder sonstigen Prachtbauten.
Zwerge hingegen wurden nach menschlichen Maßstäben steinalt - wenn sie nicht durch Krankheit oder einen gewaltsamen Tod starben, wurden sie meist über dreihundert, in seltenen Fällen sogar über vierhundert Jahre alt. Dementsprechend waren Zwergenbauwerke dafür gedacht, auch nach Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden noch zu stehen und …
Thilus wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als er aus den Augenwinkeln etwas heransausen sah. Da sie schon fast an den Stadttoren angelangt waren, hatte er gehofft, dass es auch in den letzten Minuten keine weiteren Zwischenfälle mehr geben würde, doch sah er sich getäuscht. Einige durch die Hasstiraden offenbar besonders fanatisierte Einwohner nutzten das Gewirr der von der Hauptstraße abzweigenden Gässchen und dunklen Winkel, um ihrer Feindseligkeit mit einem letzten Abschiedsgruß noch einmal Ausdruck zu verleihen.
Das Ei verfehlte Tharlia nur knapp und zerplatzte auf dem Straßenpflaster, aber es blieb nicht das einzige. Weitere Wurfgeschosse kamen durch die Luft geflogen, neben Eiern auch Obst und verschiedene Gemüse, die dem Geruch zufolge bereits faulig geworden waren.
»Die Schilde hoch! Schützt die Königin!«, brüllte Thilus.
Die Zwergenkrieger reagierten sofort. In Windeseile gruppierten sie sich um Tharlia, lösten die Rundschilde, die sie auf den Rücken geschnallt trugen, und hielten diese so, dass sie nach allen Seiten einen Wall um die Königin bildeten.
Keinen Moment zu früh, denn gleich darauf kündete ein zweifaches Scheppern beim Aufprall auf die Schilde von härteren Wurfgeschossen. Wie Thilus erkannte, handelte es sich glücklicherweise nur um Äpfel und nicht wie befürchtet um Steine. Anderenfalls hätte es sich um den Versuch eines möglicherweise tödlichen Angriffs auf die Königin gehandelt, der trotz ihres Verlangens nach friedlicher Nachbarschaft mit Clairborn nur mit Blut hätte gesühnt werden können.
Auch die beiden Gardisten erwachten endlich aus der Starre, in die der völlig unerwartete Angriff sie versetzt hatte. Offenbar waren auch sie bereits der Meinung gewesen, dass alles überstanden wäre und nun wohl nichts mehr passieren würde. Sie fuhren herum und eilten auf die Gasse zu, aus der die Wurfgeschosse gekommen waren. Die Schritte mehrerer Personen entfernten sich hastig und hallten von den Häusern wider.
»Stehen bleiben!«, rief einer der Gardisten. »Im Namen des Bürgermeisters, bleibt sofort stehen!«
Sein Befehl verhallte unbeachtet, und die Schritte verklangen in der Ferne. Die Einzigen, die nach einigen Sekunden tatsächlich stehen blieben, waren die beiden Gardisten selbst, ehe sie sich mit leisen Flüchen auf den Lippen umwandten und zurückkehrten. Auf einen Wink Thilus’ hin senkten die Krieger ihre Schilde.
»Den restlichen Weg werden wir wohl auch ohne euren Schutz bewältigen«, sagte Tharlia mit einem finsteren Blick auf das nahe gelegene Stadttor, ehe einer der Gardisten etwas vorbringen konnte. »Meine Geduld ist endgültig erschöpft. Sagt Bürgermeister Lavinion, dass ich nicht gewillt bin, mich und Angehörige meines Volkes länger tatenlos von seinen Untertanen beschimpfen, beleidigen und sogar tätlich angreifen zu lassen.
Ich erwarte ihn morgen zu einer diesbezüglichen Unterredung in unserer Siedlung, um sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht mehr wiederholen.« Sie machte eine kurze Pause und der Blick, mit dem sie die beiden Gardisten musterte, wurde stechend. »Sollte er es aus irgendwelchen Gründen vorziehen, nicht zu dieser Unterredung zu erscheinen, wird das Konsequenzen haben, die ihm mit Sicherheit nicht gefallen dürften. Richtet ihm das von mir aus!«
4
EIN ALTER TRAUM
Sie hatten viel geschafft, das musste Barlok zugeben - mehr als er in der kurzen Zeit
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