Zwergenbann: Roman
Elben sind ein sterbendes Volk. Obwohl noch immer zahlreich und mächtig, haben sie erkannt, dass ihre Zeit sich dem Ende zuneigt. Ein Schicksal, das auch den Zwergen droht, obwohl ihr es nicht hinnehmen wollt, sondern dagegen ankämpft. Die Elben haben sich zurückgezogen, um Platz für jüngere Völker wie die Menschen zu machen.«
»Aber das ist doch kein Grund, alles, was sie geschaffen haben,
hinter sich zu zerstören, statt es an ihre Erben weiterzugeben, mögen es nun die Menschen oder sonstwer sein!«, protestierte Warlon.
Ein solches Verhalten widersprach jeglicher Zwergendenkweise. Natürlich erfreuten sich auch Zwerge an dem, was sie geschaffen hatten, aber wenn er darüber nachdachte, stellten all ihre Werke tatsächlich Denkmäler dar, die man noch in vielen Jahrtausenden bewundern sollte, sogar - oder gerade - wenn es dann vielleicht keine Zwerge mehr geben sollte. Es war ein unerbittliches Bemühen, für die Nachwelt Spuren in der Welt zu hinterlassen, die über bloße Erinnerungen oder Geschichten, die irgendwann zu Legenden und Mythen verblassen würden, hinausgingen. Ein Versuch, sich wenigstens durch das, was man geschaffen hatte, eine Art Unsterblichkeit zu sichern, wenn die eigenen Gebeine schon längst zu Staub zerfallen waren.
Dass ein Volk, gerade wenn es wusste, dass seine Zeit verstrichen war, nicht nur darauf verzichtete, sondern sogar bewusst alle Zeugnisse seiner Existenz zu zerstören versuchte, konnte er beim besten Willen nicht begreifen.
»Ich sagte schon, jedes Erbe kann ein zweischneidiges Schwert sein«, antwortete Malcorion. »Bei den Elben nimmt Magie, die Urkraft der Schöpfung, eine zentrale Rolle ein, sie bildet den Mittelpunkt ihres Lebens und findet sich auch in ihren Werken. Das unterscheidet sie von allen anderen Völkern.« Abwehrend hob er die Hände. »Ich weiß, was ihr einwenden wollt. Ihr habt eure Priesterinnen, und auch bei den Menschen gibt es Zauberer oder Hexen, die über diese Kräfte gebieten. Aber sie bilden nur eine kleine Ausnahme und werden oft sogar in ihrem eigenen Volk mit Misstrauen beäugt«, fügte er mit einem Lächeln in Ailins Richtung hinzu. »In den falschen Händen könnte die Macht der Elben sich in eine furchtbare Bedrohung verwandeln und zu finsteren Zwecken missbraucht werden. Das fürchten sie mehr als alles andere, und da sie kein anderes Volk für verantwortungsbewusst und vertrauensvoll genug halten, ihr Erbe in seine Hände zu legen,
nehmen sie ihr Wissen lieber mit sich ins ewige Vergessen. Nur so können sie sicher sein, dass niemand ihre Hinterlassenschaften studieren und sich ihre Fähigkeiten auf diese Art aneignen kann. Ihr seht, sie haben ihre Entscheidung nicht aus Willkür getroffen, sondern aus Umsicht, zu unser aller Schutz. Auch wenn das bedeutet, dass viel Schönes verloren gehen muss.«
Nachdenklich starrte Warlon vor sich hin. Von dieser Warte erschien das Verhalten der Elben mit einem Mal in einem neuen Licht. Die einstige Macht der Elben hatte weniger auf ihren Fähigkeiten als Krieger beruht, obwohl auch diese enorm gewesen waren, sondern zu einem beträchtlichen Teil auf ihrer Magie. Er hatte erst wenige Menschen persönlich kennen gelernt, aber er hatte bereits erfahren, dass es sich um ein Volk voller Gegensätze handelte. Es konnte stolz, edelmütig und stark sein, aber auch gierig, eigensüchtig und allzu leicht verführbar. Die Vielfalt der Menschen, die er getroffen hatte, reichte von solchen wie Malcorion bis hin zu skrupellosen Verbrechern wie Xantirox, dessen Verrat für den Tod ihrer Gefährten verantwortlich war. Beide Beispiele mochten Extreme und gewiss nicht typisch sein. Die Mehrheit der Menschen bewegte sich vermutlich irgendwo dazwischen, unentschlossen hin und her gerissen zwischen Gut und Böse, bemüht, aber nicht immer erfolgreich.
In ihrer Komplexität und Vielseitigkeit waren sie jedenfalls gewiss nicht reif für Elbenmagie. Schon der bloße Gedanke daran, dass jemandem wie Xantirox eine solche Macht in die Hände fallen könnte, ließ Warlon erschauern. Aber das galt auch für jeden anderen Menschen, mochte er noch so gefestigt erscheinen und darum bemüht sein, Gutes zu tun. Macht besaß die Eigenschaft zu korrumpieren, und er war überzeugt, dass nur wenige Menschen dieser Verlockung auf Dauer widerstehen könnten, vielleicht nicht einmal aus finsteren Beweggründen heraus.
Zwerge mochten etwas weniger anfällig dafür sein, aber auch für Angehörige seines eigenen Volkes würde er
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