Zwergenbann: Roman
wunderschönen Traum erwachen. Wie in Trance trat er vor, als Malcorion ihm eine Hand auf die Schulter legte und ihn genau wie Lokin mit sanftem Druck ein paar Schritte vorwärtsschob. Nur Ailin schien nicht ganz so tief im Bann des Gehörten zu stehen.
Die drei Frauen erhoben sich von den Steinen, auf denen sie bislang gesessen hatten. Allerdings war sich Warlon nicht mehr sicher, ob es sich wirklich um Frauen handelte. Sie hatten langes, glattes Haar, das wie alles an ihnen silbern-bläulich schimmerte,
und wie ihr Gesang waren auch ihre Körper ätherisch zart, aber ob sie wirklich frauliche Formen besaßen, war nicht zu erkennen. Vielleicht waren die Wesen auch geschlechtslos.
Mit Bewegungen, die weniger an Schritte erinnerten, sondern eher aussahen, als würden sie über den Boden gleiten, kamen sie auf die Wanderer zu.
»Sie scheinen uns akzeptiert zu haben«, raunte Malcorion. »Macht keine hastigen Bewegungen und auch sonst nichts, was sie verschrecken könnte.«
Die drei Nymphen hatten sich ihnen bis auf wenige Meter genähert, als sie plötzlich ein schrilles Geheul ausstießen. Gleichzeitig veränderten sie sich. Ihr silberner Glanz verblasste. Das Blau hingegen verstärkte sich abrupt, wurde zu Purpur und gleich darauf zu einem intensiven, grellen Rot. Ihr Kreischen wurde lauter und gellte in den Ohren, dann schossen sie auf Warlon zu. Jetzt taten sie nicht einmal mehr so, als würden sie gehen, sondern schwebten wie Geister durch die Luft. Ihre Gesichter waren zu dämonischen Fratzen verzerrt, ihre Haare flatterten, als wären sie von einem unheimlichen Eigenleben erfüllt.
Warlon konnte sich nicht erklären, was diese Veränderung bewirkt hatte. In seinem Schrecken wollte er instinktiv sein Schwert, das er immer noch in der Hand hielt, zu einer Abwehrbewegung erheben, kämpfte aber dagegen an. Er spürte, dass es zu einer Katastrophe kommen würde, wenn er die Wesen mit Waffengewalt anzugreifen versuchte.
Stattdessen ließ er das Schwert fallen und riss die Arme vor das Gesicht, um es vor den messerscharfen Fingernägeln zu schützen, mit denen die Nymphen ihn attackierten. Schmerzhaft schnitten sie durch seine Haut. Er versuchte zurückzuweichen, aber sie griffen ihn von allen Seiten zugleich an, immer noch ihr gellendes Kreischen ausstoßend.
Seltsamerweise war er der Einzige, auf den sie es abgesehen hatten. Malcorion und die anderen beiden Zwerge blieben unbehelligt, wie er aus den Augenwinkeln mitbekam.
»Der Crail! Wirf ihn weg!«, rief Ailin plötzlich. »Das tote Tier macht sie rasend vor Zorn!«
Fast gleichzeitig sprang Malcorion vor und hob in einer beschwörenden Geste die Arme. »Ain nigaila ter lisonir nulianin!«, stieß er hervor.
Die Nymphen verharrten in der Luft und wandten ihm ihre Köpfe zu. Für einen Moment waren sie abgelenkt. Warlon nutzte den Augenblick, bückte sich nach seinem Schwert und ließ es so schwungvoll in einem Viertelbogen durch die Luft sausen, dass der Kadaver des Crail sich von der Spitze löste und meterweit weggeschleudert wurde, bis er ein gutes Stück entfernt zwischen den Bäumen liegen blieb. Sofort steckte er das Schwert in die Scheide zurück.
Das misstönende Kreischen verstummte. Einige Sekunden lang wirkten die Nymphen unschlüssig, starrten erst Warlon, dann Malcorion an, dann wichen sie langsam zurück. Das grelle Rot, das sie zum Leuchten brachte, verblasste, wurde wieder zu Purpur und schließlich dem silbrigen Blau, das sie anfangs umgeben hatte.
»Sie freuen sich, in dir einen Elbenfreund vor sich zu haben, der noch die Sprache des Alten Volkes beherrscht«, wandte sich Ailin an den Waldläufer. »Aber sie lieben den Wald und alles, was darin lebt. Dass wir einen Crail getötet und mit hierhergebracht haben, war für sie ein Frevel und eine Beleidigung. Sie wissen im Moment noch nicht, wie sie sich uns gegenüber verhalten sollen.«
»Du verstehst sie?« Fassungslos starrte Warlon sie an. »Aber wie? Sie sagen doch gar nichts.«
»Ich kann ihre Gefühle empfangen«, antwortete Ailin unsicher. »Sie entstehen irgendwie direkt in meinem Kopf. Keine Worte, aber Eindrücke und Bilder. Es muss etwas mit meinen Fähigkeiten als Priesterin zu tun haben, auch wenn mir hier an der Oberfläche nur ein kleiner Rest davon verblieben ist.«
Warlon betrachtete die scheinbar schwerelos einige Meter entfernt in der Luft schwebenden Waldfeen. Sie wirkten nun wieder
wie ätherische Erscheinungen, so zart, als ob schon ein etwas kräftigerer
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