Zwergenblut: Roman
Barlok sich in Gedanken gleich darauf ein. Immerhin waren sie während ihrer gesamten Wanderung bislang noch nicht auf Thir-Ailith gestoßen.
»Diese unterirdischen Stollen und Höhlen sind furchtbar«, sagte Lhiuvan neben ihm. »Wie kann Euer Volk hier bloß leben? Allmählich verstehe ich, wie sich die Abtrünnigen so verändern konnten. Wahrscheinlich würde es auch mir nicht anders ergehen, wenn ich hier eingesperrt wäre.«
Barlok hatte sich zurückfallen lassen, seit vor einiger Zeit nach einer Rast Ailin, die sich zuvor bei den Magierinnen und Magiern aufgehalten hatte, zu Warlon und ihm fast an die Spitze des Trupps vorgerückt war. Er wollte, dass sich die beiden ungestört unterhalten konnten. Sollten sie die vielleicht letzten Stunden genießen, in denen das noch möglich war.
Stattdessen hatte er sich zu den Elbenkriegern gesellt und war zu seiner Überraschung dort ausgerechnet von Lhiuvan angesprochen worden. Nur stockend war ein Gespräch in Gang gekommen, zu stark waren die gegenseitigen Vorbehalte. Aber wie Barlok bereits zuvor vermutet hatte, stellten sie recht bald eine Reihe von Gemeinsamkeiten fest. Lhiuvan war wie er ein Krieger mit klaren Standpunkten, kein Freund unverbindlicher Diplomatie, wie vor allem Gelinian sie bis zur Perfektion entwickelt zu haben schien.
Barlok hatte von verschiedenen Schlachten erzählt, an denen er teilgenommen hatte, und offenbar war es ihm mittlerweile gelungen, Lhiuvans Achtung zu erwerben. Zumindest verwendete der Elb ihm gegenüber nun die ehrenvolle Anrede, was Barlok auf gleiche Art quittierte.
»Das sind eben grundsätzliche Unterschiede zwischen unseren Völkern. Manches hat mir an der Oberfläche sehr gut gefallen, aber ich könnte dort genauso wenig dauerhaft leben. Zwerge sind nun einmal für ein Dasein unter der Erde geschaffen, es ist unsere Natur.«
»Und unsere Natur gibt vor, dass wir die Sonne, den Mond und die Sterne brauchen. Wir benötigen Weite um uns herum, den Wind, die Pflanzen und die Vielzahl an Lebewesen, die es dort gibt. Ach, wenn ich an die ruhmreichen Zeiten meines Volkes zurückdenke, an die wunderbaren Orte, die wir Elben geschaffen haben und nach denen mein Herz sich immer noch sehnt, obwohl sie längst vergangen sind.« Er seufzte. »Aber selbst wenn es sie noch gäbe, würde ich sie niemals mehr mit Aliriel aufsuchen können.«
»Ich verstehe Euren Schmerz und Euren Wunsch nach Rache gut«, erwiderte Barlok. »Auch mir ging es einst so. Vor langer Zeit habe ich geheiratet und mein eigenes Haus gegründet, bis … Ach nein, ich kann selbst jetzt noch nicht darüber sprechen, ohne den Schmerz erneut wachzurufen.«
Lhiuvan drang nicht weiter in ihn, sondern wechselte stattdessen nach einigen Sekunden das Thema.
»Es ist zu vermuten, dass viele tausend Elben von den Thir-Ailith als Sklaven gehalten werden, auch wenn Ihr nur wenige von ihnen gesehen habt«, sagte er. »Aber wenn es uns gelingt, sie zu befreien, wird das wie ein Jungbrunnen für unser Volk sein. Vielleicht sind wir doch noch nicht
zum Aussterben verurteilt, sondern können uns zu einer neuen Blüte emporschwingen. Und wenn es uns gelingt, den Feind zu besiegen, wird voraussichtlich auch das Zwergenvolk durch die Reichtümer Zarkhaduls besseren Zeiten entgegengehen.«
»Ja«, brummte Barlok. »Ich hoffe nur, dass wir dann auch weiterhin keine Feinde mehr sind.«
»Wir waren niemals Feinde, sondern hatten vor allem ein falsches Bild voneinander«, korrigierte Lhiuvan. »Es machte mich fast rasend, über einen so langen Zeitraum hinweg mit ansehen zu müssen, wie mein einst so mächtiges Volk immer mehr dahinsiecht. Daraus erwuchs Verbitterung darüber, wie andere Völker zunehmend an Bedeutung gewinnen.«
»Was aber hauptsächlich für die Menschen gilt.«
»Ja. Euer Volk ist noch nicht ganz so tief gesunken wie meines, aber es hat seinen Zenit auch schon lange überschritten. Dennoch weckte die Verbitterung Zorn in mir und Neid auf alle, denen es besser als uns erging. Mittlerweile aber weiß ich, dass die Zwerge unser Schicksal in vielerlei Hinsicht teilen. Und ich habe feststellen müssen, dass auch bei Euch Stolz und Ehre zu finden sind, während ich zuvor dachte, dass Gier die einzige Antriebsfeder Eures Tuns ist.«
Ein leichtes Unbehagen überfiel Barlok. Der Elb verhielt sich ihm gegenüber völlig anders, als Warlon ihn beschrieben hatte - eine Kehrtwendung, die in dieser Radikalität kaum glaubhaft erschien, doch schon Lhiuvans nächste Worte
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