Zwergenfluch: Roman
ich eine Priesterin bin, und nicht nur irgendeine, sondern die Hohepriesterin der Li’thil. Es ist uns unmöglich, eine Bindung mit einem Mann einzugehen, unsere Liebe ist allein der Göttin geweiht.«
Niedergeschlagen senkte Lamar den Kopf und starrte auf die Fische hinab.
»Und es gibt keine Möglichkeit, den Orden zu verlassen?«, murmelte er.
»Es gibt deren sogar drei«, antwortete Tharlia ebenso leise. »Die eine ist der Tod. Die zweite wäre ein Bruch des Verbots, was bedeuten würde, dass ich aus dem Orden verbannt und zugleich auch von meiner Familie ausgeschlossen würde. Ich müsste als Ausgestoßene ohne Haus dahinvegetieren, was sicherlich keiner von uns wünscht.«
»Um mit Euch zusammen zu sein, würde ich Euch notfalls sogar in die Verbannung folgen!«, stieß Lamar theatralisch hervor. »Aber Ihr spracht noch von einer dritten Möglichkeit.«
»Ja, aber sie ist so wenig vorstellbar...« Tharlia legte eine kurze, wohlkalkulierte Pause sein. »Wenn die Absetzung Burians gelingt, stellt sich die Frage der Thronnachfolge. Normalerweise würde die Herrschaft auf seinen Sohn Farlian übergehen.«
»Farlian ist ein noch größerer Narr und Dummkopf als sein Vater«, rief Lamar. »Aber was hat das mit Eurem Orden zu tun?«
»Der Hohe Rat müsste Farlian in seinem Amt bestätigen, kann ihm aber ebenfalls die Unterstützung verweigern und sich stattdessen für einen anderen entscheiden, vermutlich ein Ratsmitglied. Wie Ihr wohl wisst, erlöschen für einen neu gewählten König alle seine bisherigen Titel, Ämter und Verpflichtungen. Und somit auch eventuell damit einhergehende Regeln und Verbote.«
»Ihr meint... Ihr wollt...« Ungläubig riss Lamar die Augen auf, wagte nicht, das Ungeheuerliche auszusprechen.
»Ich habe nur die Möglichkeiten aufgezählt, den Einschränkungen meines Amtes zu entrinnen und habe selbst erwähnt, wie wenig vorstellbar mir ganz besonders diese erscheint«, erinnerte ihn Tharlia, im vollen Bewusstsein dessen, wie kritisch dieser Augenblick war. »Ich habe sie nur erwähnt, um Euch deutlich zu machen, wie aussichtslos die Hoffnung auf eine Verbindung zwischen uns ist.«
»Eine Königin«, murmelte Lamar, nun schon wieder etwas gefasster, und kaute nachdenklich auf seiner Lippe. »Es hat schon früher Königinnen gegeben, und alle genossen hohes Ansehen.« Ein Funkeln trat in seine Augen. »Vielleicht ist unsere Hoffnung doch nicht so aussichtslos, wie Ihr sagt. Immerhin seid Ihr ein Mitglied des Hohen Rates, Eure Aussichten stehen nicht schlechter als die der anderen fünf Ratsmitglieder.«
»Ich... ich weiß nicht. Das kommt alles so überraschend, und der Gedanke ist so ungeheuerlich... Ich muss darüber nachdenken, ob ich mir eine solche Verantwortung überhaupt zutraue«, heuchelte Tharlia.
»Ich bitte Euch, zieht es zumindest in Erwägung«, drängte
Lamar, der sich immer mehr für die Idee zu begeistern schien.
»Das werde ich, aber auch Ihr müsst mir etwas versprechen. Ihr dürft mit niemandem darüber reden, zumindest dürft Ihr auf keinen Fall erwähnen, dass Ihr bereits mit mir darüber gesprochen habt.«
»Das verspreche ich«, sagte Lamar.
Wenige Minuten später verabschiedete Tharlia sich von ihm und rief eine vertrauenswürdige Dienerin, die ihn wie schon zuvor die anderen durch eine kleine Seitenpforte aus dem Haus brachte.
Ein grimmiges Lächeln huschte über Tharlias Gesicht, kaum dass sie allein war. Alles war besser als erhofft gelaufen. Ihre eigene Kaste stand hinter ihr, denn Selon als Oberhaupt der Schriftgelehrten würde es nicht wagen, sich gegen die Macht des Dunkelturms aufzulehnen. Führende Angehörige der Arbeiterkaste standen ihrem Ansinnen zumindest nicht gänzlich ablehnend gegenüber. Blieb noch die Kriegerkaste, und sie fürchtete, dass dies ungeachtet ihrer Behauptungen der schwerste Brocken werden würde. Wenn irgendjemand in diesem frühen Stadium auch nur ahnte, dass sie vorhatte, anstelle des Königs selbst den Thron zu besteigen, würde dies das Ende all ihrer Ambitionen bedeuten. Lamar war der Einzige, den sie diesbezüglich auf ihrer Seite wusste, und er bildete sich ein, dass er sie erst zu diesem Schritt ermutigen müsste.
Lieber, dummer Lamar, was für ein romantischer Narr er doch war!
Dabei sah er nicht einmal schlecht aus, wie sie zugeben musste. Sein Gesicht war feiner geschnitten als bei ihrem Volk üblich, erinnerte fast an die edleren Züge der Menschen. Vielleicht würde sie ihn, wenn all dies vorbei war
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