Zwergenfluch: Roman
dunklen Elbenabkömmlinge bis nach Elan-Dhor gelangt war, dann konnte er jederzeit an jedem Ort wieder zuschlagen und kein Zwerg war mehr seines Lebens sicher. Es war sogar möglich, dass er sich noch ganz in der Nähe aufhielt, sich vielleicht gerade in diesem Moment im Schutz seiner Unsichtbarkeit an sie heranschlich …
Barlok verdrängte diese Gedanken. Falls es so wäre, würde
er sterben, ohne etwas dagegen tun zu können. Der Tod war für einen Krieger eine allgegenwärtige Gefahr, der man mit Tapferkeit begegnen musste. Wenn er jedoch überall Feinde zu vermuten begann, würden schließlich Verfolgungswahn und Angst sein Urteilsvermögen beeinträchtigen. So weit durfte es auf keinen Fall kommen.
Er trat ein paar Schritte vor, weil er etwas entdeckt hatte. Nicht weit entfernt waren einige Grasbüschel verdorrt und hatten sich bräunlich verfärbt. Um eine Folge der Flucht der Luanen konnte es sich dabei nicht handeln, da auch überall darum herum der Boden aufgewühlt und Grasbüschel ausgerissen worden waren, ohne sich in der kurzen Zeit so verändert zu haben.
Als er sich bückte, entdeckte Barlok Flecken an ihnen, die ein wenig an getrockneten hellen Schleim erinnerten, doch er hatte einen weitaus schlimmeren Verdacht, worum es sich handeln könnte.
»Was ist das?«, fragte Torliok.
»Hoffentlich nicht das, was ich befürchte«, murmelte Barlok und richtete sich wieder auf, darum bemüht, sich seinen Schrecken nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Sosehr er sich auch dagegen sträubte, die Hinweise, dass es tatsächlich einem der Unsichtbaren gelungen war, unbemerkt in Elan-Dhor einzudringen, verdichteten sich immer mehr. »Du musst sofort einen deiner Männer zum Dunkelturm schicken. Er soll der Hohepriesterin ausrichten, dass ich sie unbedingt hier brauche.« Er erinnerte sich des schlechten Zustands, in dem sich Tharlia zuletzt befunden hatte, und fügte hinzu: »Wenn sie selbst nicht kommen kann, dann soll sie eine Oberpriesterin schicken, möglichst eine, die an meiner Heilung mitgewirkt hat. Aber besser wäre es, wenn Tharlia selbst käme.«
»In Ordnung«, bestätigte Torliok. Ohne Zeit mit weiteren Fragen zu vergeuden, winkte er einen der Gardisten heran und erteilte ihm den entsprechenden Auftrag. »Willst du mir nicht endlich erzählen, was das alles zu bedeuten hat?«, wandte er sich erst dann wieder an Barlok.
»Erst dann, wenn eine der Priesterinnen meinen Verdacht bestätigt«, erwiderte dieser. »Falls das geschieht, werden wir ohnehin unverzüglich handeln müssen, um eine Katastrophe zu verhindern.«
»Habe ich dir schon mal gesagt, was ich an dir am meisten schätze?«, knurrte Torliok. »Deine unnachahmliche Art, überall um dich herum Optimismus zu verbreiten.«
Das Leben der Priesterinnen Li’thils war allein der Göttin gewidmet, so schrieben es die Statuten des Ordens vor. Sie hatten nicht nur allen fleischlichen Genüssen zu entsagen, was sie durch den in der Öffentlichkeit stets zu tragenden Schleier demonstrierten, sondern auch jeglichem Luxus und persönlichem Besitz. Entsprechend karg waren ihre Unterkünfte im Dunkelturm eingerichtet. Selbst das Quartier der Hohepriesterin bildete da keine Ausnahme. Die einzige Einrichtung der kleinen Kammer bestand aus einem Bett und einem hölzernen Ständer, an dem sie ihre Zeremoniengewänder aufhängen konnte, sowie einer Schüssel mit Wasser, die auf einem kleinen Tischchen stand.
Aufgewachsen in dem Luxus, den das Haus Lius zu bieten vermochte, hatte Tharlia nach ihrem Eintritt in die Priesterschaft damit zunächst große Probleme gehabt. Sehr bald jedoch hatte sie die Vorzüge dieser Kargheit schätzen gelernt. Ihre Unterkunft diente ausschließlich dem Schlaf und der Besinnung. Hier fand sie wirkliche Erholung, denn
es gab nichts, was sie ablenken und die Klarheit ihrer Gedanken stören konnte. An keinem anderen Ort fiel es ihr so leicht, sich in Trance zu versetzen und zu entspannen.
Die Verbindung mit Ailin und die Übertragung eines Teils ihrer eigenen Kräfte zu deren Unterstützung über eine so große Entfernung hinweg hatten sie extrem geschwächt. Nicht nur ihre geistigen, auch ihre körperlichen Reserven waren angegriffen. Selbst ohne einen Spiegel konnte sie sich vorstellen, wie schlecht sie aussah. Ein Blick auf ihre wie ausgemergelt wirkenden und mit Runzeln überzogenen Hände genügte. Und wie sie aussah, so fühlte sie sich auch: wie eine uralte Frau.
Was sie im Moment mehr als alles andere
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