Zwergenfluch: Roman
beruhigt hatte. Angewidert betrachtete er das tote Ungeheuer.
»Mistvieh!«, stieß er hervor, spie aus und versetzte ihm einen Tritt, ehe er sich abwandte. »Gehen wir weiter. Es kann nicht mehr weit bis zum Tiefenmeer sein.«
9
UNTER ARREST
Zutiefst schockiert von dem, was sie gehört und vor allem in der Luanen-Höhle selbst gespürt hatte, machte Tharlia sich auf den Rückweg zum Dunkelturm. Barlok hatte ihr und dem Offizier der Stadtgarde berichtet, was er von Selon erfahren hatte, und die Zukunftsvisionen, die sich vor ihren Augen abzeichneten, wurden immer grausamer und düsterer.
Offenbar hatte sie die Gefahr mindestens ebenso sehr unterschätzt wie der König. Die fremden Wesen waren ihr sogar ganz gelegen gekommen, um Burians Unfähigkeit anzuprangern und ihre eigenen Pläne voranzutreiben. Da war sie noch davon ausgegangen, dass ein erfahrener Krieger wie Barlok mit der Bedrohung schon fertig werden würde, wenn sie ihm im Gegenzug für seine Unterstützung freie Hand ließe.
Dass tatsächlich womöglich die ganze Existenz ihres Volkes auf dem Spiel stehen könnte, dieser Gedanke war ihr erst gar nicht gekommen, und es fiel ihr auch jetzt noch schwer, sich daran zu gewöhnen. Was nutzte es ihr unter diesen Umständen noch, wenn es ihr tatsächlich gelang, Burian zu stürzen und selbst den Thron zu besteigen? Im Moment war das bedeutungslos geworden, nur die Abwehr der drohenden Gefahr zählte.
Im Dunkelturm angelangt, begann sie deshalb sofort, die
mit Barlok und Torliok abgesprochenen Maßnahmen in die Tat umzusetzen. Sie rief sämtliche Ober-, Weihe- und sogar die Laienpriesterinnen zusammen und erklärte ihnen mit knappen Worten die Situation. Wenn es irgendjemandem gelang, den Unsichtbaren innerhalb Elan-Dhors aufzuspüren, dann ihnen. Aus diesem Grund würde jede von ihnen einen kleinen Trupp Gardesoldaten bei Patrouillen durch das gesamte Stadtgebiet begleiten.
Lediglich die einfachen, ranglosen Priesterinnen, die dem Orden erst seit kurzem angehörten, waren noch nicht so weit, diese Aufgabe erfüllen zu können. Einige von ihnen schickte Tharlia stattdessen los, um unverzüglich den König und die anderen Ratsmitglieder zu informieren und eine Sitzung des Hohen Rates einzuberufen.
Gerne hätte sie sich für eine Weile in ihre Kammer zurückgezogen, um sich noch etwas auszuruhen und ihre Kräfte zu regenerieren, doch dazu kam es nicht. Ein Bote ihrer Familie traf ein und berichtete, dass ein Eindringling in den frühen Morgenstunden erhebliche Schäden verursacht hätte, jedoch in eine von ihr errichtete Falle getappt sei, als er das Haus mit seiner Diebesbeute verlassen wollte.
Am liebsten hätte Tharlia ihn noch ein paar Stunden in der Falle schmoren lassen, da sie derzeit wesentlich Wichtigeres als ein kleiner Dieb beschäftigte. Nach kurzem Zögern entschloss sie sich dann aber doch, sich direkt um dieses Problem zu kümmern.
Im Wohnsitz ihrer Familie angekommen, begutachtete sie zunächst die Schäden, die der Eindringling verursacht hatte. Glücklicherweise waren sie nicht so groß wie befürchtet, dennoch packte sie Zorn beim Anblick der kahlen Stellen an den Wänden, wo Quarze und andere Verzierungen gewaltsam herausgebrochen worden waren.
Sie ließ sich zu dem Gefangenen führen. Er kauerte vor panischer Angst zitternd, mit angezogenen Beinen und eng um den Körper geschlungenen Armen auf dem Boden eines Ganges, der zu einer kleinen Seitenpforte führte, und stieß wimmernde Laute aus.
»Eine Dienstmagd hat ihn vorhin so vorgefunden«, berichtete ein neben ihm stehender Wachposten. »Er ist überhaupt nicht ansprechbar, reagiert auf nichts.«
»Das kann er auch nicht«, entgegnete Tharlia grimmig. »In seiner Vorstellungswelt stirbt er gerade tausend Tode.«
Sie konzentrierte sich kurz und löste den Bann, der dem Eindringling vorgaukelte, der Gang hätte sich zu einer winzigen Kammer um ihn verengt. Auch jetzt reagierte er noch nicht, erst als sie ihn mit dem Fuß anstieß, brach das Wimmern ab, und er hob den Kopf. Mit immer noch vor Panik flackernden Augen blickte er sich um, dann sprang er auf. Hastig griff der Wachposten zu und hielt ihn von hinten fest.
»Wer bist du?«, fragte Tharlia.
Der Fremde antwortete nicht, sondern versuchte vergeblich, sich aus dem Griff der Wache zu befreien.
»Rede schon!«, herrschte Tharlia ihn an. »Oder soll ich veranlassen, dass sich die Wände wieder um dich schließen?«
»Nein!«, keuchte der Mann. Obwohl sie verschleiert war,
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