Zwergensturm
Endergebnis das gleiche sein würde – sie würden alle sterben.
Tinchena unterbrach seine Gedanken: „Hör mal her, du Wissensvogel. Man sagt, die Gnome seien die Wesen auf der Welt, die am meisten in der Birne haben. Das lasse ich mir doch nicht von einem dahergelaufenen Geistdings absprechen. Wenn du meinst, du bist so allwissend, kannst du es ja mal mit mir aufnehmen.“
„Nein!“ Haggy packte Tinchena an den Schultern, doch entschlossen wies sie ihn ab. Ihr Blick richtete sich auf die Augen des Geistes. Der war zum zweiten Mal an diesem denkwürdigen Tag sichtlich überrascht: „Na gut, wenn du es so eilig hast, in die Unterwelt zu marschieren, dann …“ Tinchena unterbrach ihn: „Weder will ich in die Unterwelt, noch marschieren. Meine Beine sind dafür viel zu kurz! Nun hör auf zu schwafeln und …“
Der Geist streckte seine rechte Hand aus und machte eine ruckartige Handbewegung in Richtung von Tinchenas Schädel. Die stand dort und sah den Geist mit gesenktem Kopf und entschlossenem Blick an. Nur ein Zucken ihrer Lider verriet, dass der Geist eine Verbindung zu ihr hergestellt hatte.
Haggy dachte kurz daran, mit der Büchse auf den Geist zu schießen, aber er ahnte, dass das Geschoss keine Wirkung haben würde. Zudem bestand ein Restrisiko, dass Tinchena dadurch gefährdet würde.
Sie standen sich gegenüber, Tinchena, die immer noch keine Miene verzog, und der Wissensgeist mit seinem ausgestreckten Arm, der die Augen geschlossen und den Mund geöffnet hatte. Er seufzte glücklich, ganz so, als würde er einen anrüchigen Akt vollziehen.
Doch Tinchenas Blick wurde noch entschlossener.
Komm her, meine Kleine. Was für ein gesegnetes Opfer du bist … Die Kleinste, die Hilfloseste, stirbt als Erste. Lass mich ein, lass mich rein in dein Gehirn, lass uns eins werden, und ich lasse dich an meinem Wissen teilhaben, bis es dich zerreißt … Fürchte dich nicht, es wird nicht lange dauern. Leide und genieße deinen Schmerz, so wie ich es genieße, ihn dir zuzufügen! Lass den Schmerz uns vereinen, mit mir als Spender und mit dir als Empfänger. Da, dort ist die Pforte in dein Gehirn, ich öffne sie. Spürst du meine Finger? Spürst du, wie ich in dich eindringe?
Komm schon her! Ich zeige dir gleich, wer hier derjenige ist, der die Hosen anhat. Was bildest du dir eigentlich ein? Dass der Dämonenlord dich erschaffen hat, um uns Leid zuzufügen und uns zu quälen? Glaubst du, das ist etwas, das dich eingebildet machen sollte? Hier, mein Hirn ist offen, komm nur herein, du …
Ja, es fühlt sich gut an in dir, du kleine Gnomin. Wie warm dein Körper ist! Das Blut, das durch dein Hirn pulsiert. Das viele, warme Blut! Ich trete ein, hier kommt mein Geist. Erst nur ein zartes Pflänzlein inmitten deiner Zellen, doch seine Früchte werden in alle Richtungen sprießen. Deinen Zellen wird reiche Erfahrung zuteilwerden, bis sie daran zugrunde gehen. Da bin ich, jetzt sind wir vereint. Und nun spüre …
Hiergeblieben, du räudiges Scheusal! Dieses Hirn ist mehr, als du ertragen kannst. Wie du merkst, stehe ich nicht so auf ein langes Vorspiel. Statt klein hereinzukommen, wärst du mal lieber mit voller Macht in mich eingedrungen. Spüre den Käfig um deine Lebensessenz, spüre, wie er dich einschließt und von deinem luftigen irdischen Dasein trennt. Doch allein ist weder dein armseliger körperlicher Rest noch dein Geist fähig, zu existieren. Wie das Auge deines Herrn habe ich dich, den widerwärtigen Geist, erschaffen durch die Hand des Bösen selbst, eingesperrt. Und bald wirst du brennen, und das dämonische Feuer, das selbst Dämonen nicht kontrollieren können, wird dich verzehren!
Hier schießen meine Stränge heraus, mitten in dein Hirn! Fühle, wie sie dich … Was ist das? Was machst du? Du wirst nicht … Du kannst nicht … Was tust du? Lass mich raus! Lass mich raus, du verdammtes Biest! Was fällt dir ein? Bitte, lass mich raus! Ich verschone dich! Ich verspreche es dir! Und alle deine Freunde! Ich … Aaaargh!!!
Obwohl die beiden Gestalten sich kaum bewegten, ahnte Haggy etwas von dem Kampf, der im Inneren von Tinchenas Kopf vor sich gehen musste. Was ihm auffiel, war, dass Tinchenas Blick sich mehr und mehr verengte. Trotz allen Zweifels, trotz aller Hoffnungslosigkeit spendete ihm der Anblick seiner kleinen Freundin ein seltsames Gefühl der Zuversicht. Ganz so, als ob man dem Untergang ohnehin nicht mehr entgehen könnte, was ihn dann irgendwie nicht mehr so schlimm erscheinen
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