Zwergensturm
Abende, und es schien Haggy, als würde es seinen Eltern nie langweilig. Sie hatten sich nach all den Jahrzehnten immer noch etwas zu erzählen und lachten viel zusammen.
Haggys Stuhl stand in der vorderen rechten Ecke, in der Nähe seiner Mutter. Haggy grüßte seine Eltern an diesem denkwürdigen Abend und ließ sich nieder. Haggys Vater hatte es sich gemütlich gemacht, sich zurückgelehnt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Na, Sohnemann, schon aus der Kneipe zurück und gar nicht betrunken?“ Er ließ sein herzhaftes Lachen hören. „Nein, nein“, erläuterte Haggy und erzählte kurz von Wily. Sein Vater lachte nun nicht mehr. Auch er hatte Wily gekannt und war sichtbar betrübt. „Der alte Kauz, nun ist er also gegangen“, seufzte er.
„Er hat uns gebeten, nach Grünleben zu gehen.“ „Grünleben? Was sollt ihr denn da?“ Haggys Vater wirkte erstaunt. „Nun, ääh“, Haggy wusste nicht recht, ob er alles erzählen sollte. Die ganze Geschichte kam ihm auf einmal albern vor, aber das Vertrauen, das er zu seinen Eltern hatte, war groß genug. Er seufzte und gab nach: „Er hat uns gesagt, dass wir den König der Zwerge finden sollen.“ „Den König der Zwerge“, wiederholte Haggys Vater leise und nachdenklich. Auch Haggys Mutter schaute auf. Ihr Mund formte sich zu einem milden Lächeln.
„Und? Werdet ihr gehen?“, fragte der Vater. „Ja“, antwortete Haggy. „Tinch, Zahrin, Otto, alle kommen mit.“ Haggys Vater lachte wieder einmal, ohne dass es verletzend klang: „Da brat mir doch einer einen Storch, wir werden die beste Abenteurergruppe sehen, die es im Land seit Jahrzehnten gab!“ „Abend… was?“, erkundigte sich Haggy. „Eine Abenteurergruppe! Ihr schließt euch zusammen, um einen Auftrag zu erfüllen. Das gab es früher öfter mal, als wir noch … na ja, äääh, Sachen gemacht haben. Ist schon länger her. Das hört sich jedenfalls spannend an! Ihr braucht Ausrüstung, etwas, das man als Waffe benutzen kann, das aber nicht die Aufmerksamkeit der Dunkelelfen auf sich zieht. Außerdem vernünftige Kleidung und …“ „… Essen!“, warf Haggys Mutter ein. Haggy lachte nun auch. „Tinch hat gesagt, sie kümmert sich um die Verpflegung.“ „Dann wird das mit dem Essen auch spannend“, lächelte seine Mutter. Die Gnome pflegten recht eigene Essgewohnheiten, die nicht jedem behagten. Haggy mochte ihr Essen aber normalerweise.
„Dann geh schon und statte deinen Sohn aus, ich stricke so lange weiter.“ Haggys Vater erhob sich so blitzschnell, dass Haggy sich fragte, woher auf einmal der ganze Eifer kam. „Folge mir, Sohnemann!“ Der Vater deutete auf die Treppe links vom Kamin, die in den Keller führte. Er eilte voraus, Haggy schloss sich an. Sie stürmten schon fast die wenigen Stufen hinunter. Während die Menschen ihre Häuser gerne nach oben hin ausbauten, lag es den Zwergen wohl in den Genen, sich in den Boden hineinzugraben. Daher wirkten ihre Häuser immer kleiner als die der Menschen.
Unten befand sich ein kleiner Flur, von dem aus Türen zu drei Zimmern zu erreichen waren. Links ging es zum Schlafzimmer der Eltern, geradeaus zu dem Haggys , und rechts ging es zum größten Zimmer: der Rumpelkammer seines Vaters. Das Untergeschoss roch modrig nach Erde. Haggy mochte diesen Geruch, er strahlte für ihn Gemütlichkeit aus. Sein Vater öffnete schwungvoll die Tür zur Rumpelkammer. „Ei, ei, ei“, rief er ungeduldig und begann, sich einen Weg durch den gewaltigen Haufen Gerümpel zu bahnen, der sich hinter der Tür versteckte. Er schob eine alte Truhe zur Seite, legte darüberliegende Felle weg und stolperte über einen Kasten, der mit etwas gefüllt war, das aussah wie die Oberteile von alten Schuhen. Er fiel vorwärts mitten in das Gerümpel hinein. Haggy musste grinsen und versuchte nun seinerseits, voranzukommen. Er wählte eine andere Strategie und begann, über die Berge verschiedenster Sachen zu klettern. So näherte er sich seinem Vater von der Seite. Dessen Kopf steckte immer noch tief in dem alten Zeug, doch anstatt wieder aufzustehen, grub er sich tiefer hinein. „Interessant, interessant!“, hörte Haggy ihn glucksen. „Was haben wir denn da?“ Die linke Hand des Vaters kam zum Vorschein und hielt etwas, das Haggy an getrocknete Storchenbeine erinnerte. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich’s nicht“, antwortete Haggy wahrheitsgemäß. „Storchenbeine!“, rief sein Vater. Haggy war verdutzt: „Wofür brauchst du denn Storchenbeine?“
Weitere Kostenlose Bücher