Zwergensturm
Zahrin und Otto lachten mit. „Also gut, also gut.“ Otto bückte sich und nahm Tinchena in den Arm. „Dann soll es so sein, weise Freundin. Dann gehen wir, die nie etwas anderes als unser Kuhkaff gesehen haben, entgegen jeder Vernunft in die Ferne, wo uns keiner kennt und wo wir nichts kennen. Mit nichts als einem kleinen Bild bestückt, auf dem man kaum etwas sieht, um den König der Zwerge zu suchen, der nebenbei auch nicht mehr so aussieht wie auf dem Bild und offenbar von seiner Herkunft keine Ahnung hat. Irgendwie … klingt das spaßig!“
„Viel zu verlieren haben wir ja auch nicht.“ Ganz langsam wurde Haggy von Tinchenas Abenteuerlust infiziert. „Wir werden Waffen … also etwas Waffenähnliches brauchen, damit wir uns vor Räubern, Tieren und was auch immer es da draußen noch geben mag verteidigen können. Den Bohnenstangen werden wir hoffentlich nicht in die Arme laufen, sonst ist das Projekt Zwergenkönig schneller gescheitert, als ich einen Humpen Bier saufen kann.“ „So schnell?“, erkundigte sich Tinchena gewissenhaft. „Gut, ich versuche mal, mir irgendwas zu schmieden“, erklärte Zahrin. „Bei den Göttern, lasst es kein Hufeisen werden“, grinste Otto frech. „Klau du dir lieber mal ein paar Küchenmesser“, gab Zahrin zurück. „Genau das ist mein Plan“, erwiderte er. „Gut.“ Haggy fasste zusammen: „Otto klaut sich ein paar Brotmesser, Zahrin schmiedet sich eine Hufeisenkeule, und ich frage meinen Alten, ob er noch eine alte Knarre im Keller hat.“
„Und ich bring ’ Essen für alle mit!“, frohlockte Tinchena. Die Freunde lachten. Sie verabredeten, dass sie sich am nächsten Morgen auf dem Marktplatz treffen würden.
Eine halbe Stunde später kam Haggy nachdenklich zu Hause an. Das Haus seiner Familie lag nahe am nördlichen Stadtausgang. Wenn man zwischen der Häuserreihe hindurchblickte, konnte man bereits die Felderreihen der Bauern dahinter erkennen. Die zogen sich viele Hundert Schritt lang, bis sich dahinter ein dichter Wald erstreckte. Der Wald ging bis zum Meer.
Die Häuser sahen gemütlich aus. Haggy ka m immer gern heim. Viele Zwergenfamilien wohnten hier, in der hintersten Ecke des ehemaligen Königreiches der Menschen. Auch hier in Pruda hatten sich die Völker unter der Herrschaft der Dunkelelfen vermischt. Ein paar Häuser neben dem von Haggys Familie wohnten dann auch schon Menschen, und auch das Haus von Tinchenas Familie war nicht weit entfernt. Die Häuser der Menschen und die der Zwerge unterschieden sich meist leicht, zumindest dann, wenn die Bewohner dort schon länger lebten. Die Zwerge verbauten gerne Metall zum Stein, bei den Menschen war es eher Holz. Die Menschen statteten auch das Hausinnere gerne mit Holz aus, welches sie im nahe gelegenen Wald gewannen. Das Metall der Zwerge gewannen sie im Prinzip komplett aus übrig gebliebenem Material der Schmieden und anderer Arbeitsstätten. Die Menschen, die in den Schmieden arbeiteten, taten ihren zwergischen Nachbarn gerne den Gefallen, ihnen ein paar Eisen- oder Kupferreste mitzubringen. Oft revanchierten sich die Zwerge mit Fleisch.
Haggy näherte sich seinem Haus und sah, wie das Kerzenlicht aus dem Innern durch die Fenster schien. Es wurde langsam dunkel. Das Haus strahlte wie die der Nachbarn Gemütlichkeit aus. Von hier und dort hörte er Menschen- und Zwergenlachen, in manchen Momenten gepaart mit dem hohen Kichern eines Gnomes. Er hatte für einen Moment Tinchena vor Augen, wie sie vor Freude in die Luft sprang und ihr ganzes Gesicht strahlte. Er wusste, so süß sie auch aussah und so naiv sie wirkte, übertraf ihre Intelligenz die seinige und die seiner Freunde um Längen. Und natürlich kannte er auch ihr dunkles Geheimnis, ihre tiefe Begabung im Beherrschen der Dunkelmagie. Es war ihm schon klar, dass sie keine Waffe brauchte und nicht nur Essen zu ihrer Reise mitbringen würde – nein, sie würde auch ihre Hände mitbringen, die durchaus Verderbnis bringen konnten. Zumindest gegenüber Holzdosen.
Haggy öffnete die schwere Eisentür und ging hinein. Gegenüber de m Eingang befand sich in der kleinen Stube der Kamin, in dem ein kleineres Feuer loderte, das dem Raum wohlige Wärme spendete. Links vom Kamin stand der Sessel seines Vaters, der wie so oft abends dort saß und mit Haggys Mutter schwadronierte. Die saß auf der anderen Seite der Stube, nur wenige Schritte entfernt, auf einem Stuhl und strickte. Sie mochte das Stricken. So verbrachten seine Eltern die meisten
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