Zwergensturm
Das war allerdings noch vor der Besatzung gewesen, als die Stadt viel kleiner war. Seine Schießkünste jedoch hatte er ganz offenkundig an seinen Sohn vererbt.
Die kleine Gnomin, die mit ihrem Vater auch vor Ort gewesen war, war Tinchena. Sie war noch etwas jünger als Haggy. Sie war so süß und niedlich anzusehen, wie man es aus den blumigsten Geschichten über Gnome kannte. Ihre großen, runden Augen wurden immer von ein paar Strähnen ihres pechschwarzen Haares eingerahmt. Die meisten ihrer Haare hatte sie, damals wie heute, jedoch auf dem Hinterkopf hochgesteckt.
Wie jeder andere wusste auch Wily, dass Tinchena in der Dunkelmagie begabt war, der Sorte von Magie, die es dem Begabten erlaubte, übelste dämonische Energien zu bündeln und damit Zerstörung zu bringen. Jedoch übte schon damals so gut wie keiner mehr Magie aus. Die Dunkelelfen hatten zwar nur den Menschen ausdrücklich das Nutzen von Magie untersagt, aber das hatte längst auf alle anderen abgefärbt. Nach Haggys Meisterschuss waren sie damals ins Haus gegangen. Wily hatte aus dem Augenwinkel beobachtet, wie die kleine Tinchena fröhlich als Letzte hinter den anderen hertrabte. Sie blickte sich um zu den Holzdosen, und ihre rechte Hand beschrieb blitzschnell einen Kreis. Den Bruchteil eines Augenblickes später verging eine der übrigen Dosen in einem kleinen dunklen Chaosfeuer. Von ihr blieb nur Asche übrig. Tinchena drehte sich lächelnd wieder um und wollte zu den anderen hüpfen, wobei sie sich jedoch übernahm und auf die Nase fiel.
Wily stand immer noch am Fenster. Er sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine hübsche Menschenfrau, die trotz ihres jungen Alters von vielleicht Anfang dreißig schon komplett graue Haare hatte. Dabei sah sie gar nicht alt aus. Kräftig, fröhlich, entschlossen, gutmütig, ja. Aber nicht alt. Nur grau. Zahrin war überall beliebt. Sie war dafür bekannt, kleine Wunden mittels Hellmagie heilen zu können. Sie war Stammgast im Waisenhaus und betreute viele der Kinder, die dort von den Dunkelelfen untergebracht worden waren. Zu Beginn der Besatzung waren es sehr viele, die hierherkamen. Zahrins bescheidene Heilkünste, die man kaum als echte Magie durchgehen lassen konnte, waren auch hier sehr beliebt, da es bei so vielen Kindern immer wieder Abschürfungen und andere Verletzungen gab. Sie gehörte zu den Menschen, die zur Arbeit an der Stadtschmiede abgestellt worden waren. Wie bei allen Menschen waren ihre Schmiedefähigkeiten sehr begrenzt. Sie reichten, um mal ein Hufeisen zu formen, aber selbst dazu bedurfte es viel Material, Geduld und Zeit.
Im Waisenhaus groß geworden war Otto, der letzte von Haggys Freunden. Otto hatte sich als Kind immer einen Spaß daraus gemacht, der Hausköchin ihre Küchenmesser zu klauen und damit kämpfen zu üben. Dabei war er so geschickt, dass er der Dame zu ihrem Entsetzen selbst während des Kochens die Messer quasi unter den Händen wegstahl. Als Sechsjähriger hatte er einmal nachts drei Räuber mithilfe von geklauten Küchenmessern aus dem Waisenhaus vertrieben.
In Gedanken verloren flüsterte Wily vor sich hin: „Was könntet ihr alles vollbringen.“ „Hör ’ auf zu träumen!“, kam es prompt aus der Küche.
Duradons Heerlager, östlich der Grenze des Besetzten Landes
Breitbeinig, die Arme hinter dem wuchtigen Rücken verschränkt, stand Duradon vor dem Tisch in seinem Zelt. Er war prächtig anzusehen. Seine Kriegsrüstung betonte den muskulösen Körperbau. Selbst seine Nase wirkte kräftig, wohl auch durch die Hauer, die sie einrahmten und fast bis zur Stirn hochragten. Seine schwarzen Haare hingen lose über den Schultern. Er schnaubte leicht und knurrte leise, während er die Karte betrachtete, die auf dem Tisch vor ihm ausgebreitet war.
„Das Gold wird uns gehören“, dachte er. Viel Widerstand erwartete er nicht. Die drei Goldminen, die es einzunehmen galt, lagen nordöstlich von Aurum. Sein Heer würde über die Grenze Richtung Nordwest direkt auf die Minen stoßen. Ein paar Dunkelelfen würden möglicherweise die Grenze und vermutlich auch die Minen sichern, und als Langbogenschützen waren sie auch gefährlich. Trotzdem würden sie es niemals mit seinem Heer aufnehmen können. Mit mehr Gegenwehr war nicht zu rechnen. Die Völker des Besetzten Landes waren längst degeneriert und würden mit Sicherheit nicht kämpfen – gute Sklaven abgeben jedoch schon.
Er plante allerdings längst weiter voraus. Die Minen sollten nur der Auftakt sein.
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