Zweyer, Jan - Rainer
Schriftsätze ja selbst… Die Ausübung der Jurisprudenz hat in meiner Familie eine lange Tradition. Selbstverständlich waren wir keine Anwälte, natürlich nicht. Wir haben diese Menschen nur immer beschäftigt, verstehen Sie?«
»Klar.« Esch nickte heftig. Das konnte ja heiter werden.
»Ach, Herr von Rabenstein. Als was waren Sie tätig? Ich meine, bevor Sie an Ihrer Phobie zu leiden begannen?«
»Ich war Leiter der zentralen EDV-Abteilung eines großen Unternehmens. Führungsaufgabe. Mit Personalverantwortung.
Ohne mich lief nichts, wie Sie sich vorstellen können.«
Rabenstein lächelte verklärt. »Absolut nichts. Ich war die Stütze der Firma. Seit ich krank bin…« Er machte eine abwertende Handbewegung. »Die Firma liegt am Boden.
Völlig. Aber das ist auch kein Wunder bei der Lücke, die ich hinterlassen habe.«
»Wirklich bedauerlich. Aber konnte nicht einer Ihrer Mitarbeiter…?«
»Welche Mitarbeiter? Diese vertrauensvolle Aufgabe konnte doch keiner außer mir ausüben… Nein, das wäre nicht gegangen.« Er lächelte Rainer überheblich an. »Das konnte nur ich.«
»Dann waren Sie also allein in der EDV-Fachabteilung…?«
»Selbstverständlich.« Von Rabenstein straffte sich. »Nur ich!«
Jetzt war Esch alles klar. Der Gutachter hatte so etwas von Recht. »Und bei welcher Firma waren Sie?«
»LoBauTech in Recklinghausen. Bis wir uns auf eine Abfindung geeinigt hatten.«
»Herr von Rabenstein, wenn Sie mir Ihre Unterlagen hier lassen würden, werde ich mich in aller Ruhe damit beschäftigen. Und dann machen wir einen neuen Termin, einverstanden?« Rainer reichte dem Aristokraten eine Vollmacht und eine Schweigepflichtentbindungserklärung über den Schreibtisch, die dieser ohne zu zögern unterschrieb. Esch atmete auf.
Rabenstein hob schulmeisterlich den rechten Zeigefinger.
»Sie unternehmen aber nichts, ohne mich vorher zu konsultieren und meine ausdrückliche Zustimmung einzuholen.«
»Nein, wo denken Sie hin«, beeilte sich der Anwalt zu versichern und schob Aleksander Graf von Rabenstein samt seiner Computerphobie und der neurotisch-narzisstischen Persönlichkeitsstörung vorsichtig aus seinem Arbeitszimmer.
Nachdem sich sein neuer Mandant verabschiedet hatte, sank Rainer wie vom Schlag getroffen auf seinen Stuhl und steckte sich eine Zigarette an. Was für Typen in diesem Land so frei herumliefen. Er grinste breit. Das musste er unbedingt seinem Freund Cengiz Kaya erzählen. Eine adelige Computerphobie!
Einfach irre!
Plötzlich fiel ihm ein, dass er den Blaublüter nicht nach der Rechtsschutzversicherung gefragt hatte.
9
LoBauTech hatte ihr Domizil auf einer ehemaligen Zechenbrache an der Karlstraße in Recklinghausen-Hochlarmark, in der Nähe einer früheren Bergehalde, die jetzt ein Naherholungsgebiet war. Lorsow – Baustoff-Technologien stand auf dem Firmenschild rechts neben der Einfahrt. Da die Schranke offen stand, fuhr Baumann durch das Tor, ohne sich um den wild gestikulierenden Pförtner zu kümmern. Der Polizist stoppte den weißen Dienstpassat zwanzig Meter weiter vor einem zweigeschossigen Gebäude, welches er als Sitz der Verwaltung identifizierte.
Als die beiden Beamten ihr Fahrzeug verließen, wurden sie energisch angerufen: »Halt! Sie da. Halt!«
Die Besucher drehten sich um und sahen einen wütenden Pförtner mit Schirmmütze, der, ein Bein nachziehend, schimpfend auf sie zustürmte.
»Was fällt Ihnen ein? Haben Sie nicht meine Zeichen gesehen? Sie können doch nicht so einfach hier hereinfahren!«, maulte die private Ordnungsmacht. »Wer sind Sie? Zu wem wollen Sie? Sie müssen sich bei mir«, er tippte sich mehrmals mit dem Zeigefinger auf die vor Verantwortungsbewusstsein geschwellte und bald platzende Brust, »anmelden. Bei mir.
Und einen Passierschein ausfüllen. Den lassen Sie sich dann von unserem Mitarbeiter, den Sie besuchen wollen, abzeichnen und geben ihn beim Verlassen des Geländes wieder bei mir ab, haben Sie verstanden? Außerdem dürfen Sie hier nicht parken.
Das ist nur für Mitarbeiter. Der Besucherparkplatz ist dahinten.« Der Pförtner zeigte auf einige weiter entfernte Parkplätze und dokumentierte durch sein Gehabe die Richtigkeit der Behauptung der Genforscher, dass die Gene von Menschen und Primaten zu rund 95 Prozent übereinstimmen.
»Aber hier parkt doch keiner«, wunderte sich Baumann.
»Warum sollen wir dahinten…?«
»Weil das Vorschrift ist. Schließlich muss alles seine Ordnung haben.« Zutiefst befriedigt
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